Briefspiel:Kaiserjagd/Am Tag der Volkskunst I
Am Tag der Volkskunst I
29. Hesinde 1046 BF (Tag der Volkskunst), Illstan
Autor: Gonfaloniere
„Sehet, Volk von Illstan, die Wunder und den Zauber, die Impresaria Mystensor aus dem fernen Aldtenküslich zu euch gebracht. Lasst euch verzücken. Taucht ein in die Mysterien. Werdet der Mythen gewahr, die mehr sind als es scheint. Das alles für nur 4 Heller. Nur hier … und nur heute!“
Die geübte Stimme des Ausrufers schallte über den ganzen Platz vor dem berühmten Efferd-Tempel am Yaquir. Theatralische Gesten schienen die große Bedeutung seiner Worte noch zu untermauern. Neben ihm standen ein Jongleur und ein Schwertschlucker, gleichermaßen bemüht, die kleinbürgerlichen Bewohner Illstans in ihren Bann zu ziehen.
Die Gauklerkompanie der Asaria Mystensor nahm die Kleinstadt am Yaquir direkt gegenüber Aldyras, ihres eigentlichen Ziels, an diesem 29. Hesinde 1046 BF als letzte Zwischenstation. Auf dem Platz vor dem Tempel standen so nun mehrere Kasten- und Planwagen, bildeten einen Kreis, dessen Lücken durch aufgespannte Tücher zusätzlich verhangen waren. Welche Geheimnisse dahinter harrten, vermochten die einfachen Illstaner nur zu erahnen.
„He, heute ist der Tag der Volkskunst“, rief da ein vorlauter Kerl dem Ausrufer zu, „sollten wir da nicht freien Eintritt bekommen zu deiner Posse?“
„Ja, genau“, pflichtete ihm eine junge Frau bei.
„Frei ist nur, wer Taler in der Tasche hat“, antwortete ihm der in seinen Ausführungen unterbrochene Schreier mit einem Achselzucken. „Hat dir deine Mama das noch nicht gesagt?“
„Aber, aber ...“, versuchte der Zurechtgewiesene Einwände hervorzustammeln.
„Wir wollen alle etwas essen … und die Fähre nehmen“, besann sich da der Ausrufer einer eher Verständnis erntenden Erklärung, bevor er zu seinen eigentlichen Worten zurückfand.
„Hoch, Gräfin Aralzin“, wurden die Ausführungen am anderen Ende des Platzes plötzlich unterbrochen.
Eine kleine Gruppe von in die Tage gekommenen Illstanern stand vor dem Efferd-Tempel Spalier, abgeschirmt nur durch eine Handvoll Gardisten, als die Gräfin von Bethana mit ihrem Gefolge das größte Haus des Meeresgottes im Hinterland des Horasreichs gerade wieder verließ. Ihrem Gesichtsausdruck nach schien sie mit einem solchen verspäteten Empfang nicht gerechnet zu haben.
„Wir lieben die Aralzin. Vergesst uns nicht“, fügten weniger Stimmen aus der Illstaner Menschentraube ihrer Sympathiebekundung hinzu. Eine einzelne stach schließlich heraus: „Der Fürst denkt doch nicht an uns!“
Gräfin Hesindiane quittierte vor allem die letzte Bemerkung mit einem betretenen Lächeln, winkte den älteren Illstanern dann wohlwollend und doch unverbindlich zu. Es schien sie immerhin nicht unglücklich zu machen, dass man der vergangenen Herrschaft ihres Hauses in dieser Stadt mit Wehmut gedachte. Eine Geste zuviel von ihrer Seite könnten ihr missliebige Beobachter aber auch als Angriff auf den Fürsten von Vinsalt auslegen, der heute über die Grafschaft Illstan gebot.
So bedeutete sie ihren Begleitern, darunter mehr als ein Dutzend Adligen von der Küste der Septimana zwischen Mhoremis und Ruthor, sich nicht lange aufhalten zu lassen. An den wartenden Kutschen öffneten livrierte Diener ihnen die Türen, und die Edlen beeilten sich hineinzusteigen. Sie waren alle für die Jagd bis hierher gekommen, nicht für die Illstaner Lokalpolitik. Nach den Adligen saßen dann die Gardisten auf den neben den Kutschen stehenden, einzelnen Rössern auf. Schließlich gab der befehlshabende gräfliche Gardecapitan das Zeichen zum Aufbruch und der große Konvoi mit Tross aus dem fernen Bethana drehte unter Hufgeklapper auf dem großzügigen Platz – der Gauklerkompanie Impresaria Mystensors wieder allein das Feld überlassend ...
Autor: Amarinto
Doran van Heuvelen, der amtierende Salzmeister von Selshed nahm die Loyalitätsbekundungen der Illstaner für die Gräfin von Bethana mit hochgezogener Braue, aber auch einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis. Er wies seinen Leibdiener an, vor der Abfahrt Zeichen der Wertschätzung an die loyalen Illstaner zu verteilen. Dann stieg er in die Kutsche. Sein Diener tat wie ihm geheißen und verteilte eilig einige Säckchen mit bestem Selsheder Salz unter den Popoli, welche diese unter wohlwollendem Raunen entgegennahmen.
“War das wirklich notwendig, Signor?” Van Heuvelens Sitznachbarin Haline Broccia, die Generalcapitana Nevortens sah ihn mit deutlicher Missbilligung an. “Wollt ihr etwa einen diplomatischen Eklat mit den Anhängern des Fürsten provozieren?”
Das Stadtoberhaupt Selsheds blickte sie ausdruckslos an. Dann schüttelte er belustigt den Kopf. “Was wisst ihr schon von Politik, geschweige denn Handelsfragen, Capitana?” Er hatte bereits mit dem aufbrausenden Temperament der Nevortener Ratsherrin Bekanntschaft gemacht, welches sich bereits in einer roten Gesichtsfarbe und zusammengekniffenen Augen bemerkbar machte. Daher fügte er mit milder Stimme hinzu: “Ich habe nichts weiter im Sinne, als den guten Bürgern Illstans den Genuss des hochwertigen Selsheder Salzes an Herz zu legen.”
Ein genüssliches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Haline Broccia blickte aus dem Fenster und erkannte den unverwechselbaren Kranich der van Heuvelens eingestickt auf den Säckchen, welche der Diener unter dem Illstaner Volk verteilt hatte.