Briefspiel:Kaiserjagd/Wenn Träume verblassen II

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Kaiserjagd.png Städteübergreifendes Briefspiel Kaiserjagd.png
Datiert auf: 1.-6. Firun 1046 BF Schauplatz: von Aldyra in den Wald von Persenciello Entstehungszeitraum: ab März 2024
Protagonisten: Khadan II. Firdayon, etliche Hochadlige und weitere Noble des Reiches Autoren/Beteiligte: Haus Amarinto.png Amarinto, Familie Solivino.png Bella, Familie della Carenio.png Carenio, Familie ya Malachis.png Cassian, Horasreich-klein.png Dajin, Haus della Pena aeH.png Dellapena, Haus Sirensteen.png Erlan, Familie Flaviora.png Flaviora, Familie Gerber.png Gerberstädter, Haus Urbet.png Gonfaloniere, Haus della Pena jH.png Horasio, Familie van Kacheleen.png Kacheleen, Familie Luntfeld.png Luntfeld, Haus Legari.png Nebelzweig, Haus Carson.png OrsinoCarson, Familie di Cerrano.png Princeps, Haus di Salsavur.png Rondrastein, Haus Romeroza.png Savinya Romeroza, Haus Veliris.png Schatzkanzler, Familie Ventargento.png Silberwind, Haus Tribec.png Tribec, Wappen fehlt.png Vairningen, Haus ya Pirras.png VivionaYaPirras u.w.
Zyklus: Übersicht · Teilnehmer · Schauplätze · Regeln · Gerüchteküche · Erster Tag · Zweiter Tag


Wenn Träume verblassen II

1. Firun 1046 BF, auf dem Yaquir zwischen Vinsalt und Aldyra

Fortsetzung von hier.

Autoren: Amarinto, Carenio, Gerberstädter, Tribec, VivionaYaPirras

Wägt ihre Zukunft ab: Amalia Gerber

Amalia und Esindio

Amalia hatte sich auf eine große Holzkiste am Bug gesetzt und blickte den Fluss entlang. Sie genoss die Stille und die kühle, frische Luft. Was für eine Wohltat nach der völlig verrückten Nacht. Sie dachte an die wirren Träume zurück und an Arbas Trenti. Sollten ihr die Götter über die Träume einen Wink für ihre Zukunft gegeben haben? Arbas war ein sehr gutaussehender Mann, ein begnadeter Handwerker und ein guter Zuhörer und Ratgeber. Eigentlich hatte er alles, was man sich von einem Menschen, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen und eine Familie gründen wollte, wünschen könnte. Warum also hatten sie sich entschieden, künftig kein Paar mehr sein zu wollen und stattdessen “nur” gute Freunde? Freunde!
Gab es etwas besseres als wenn der Mensch, mit dem man den Traviabund schloss, der beste Freund, der Vertraute, der Fels in der Brandung war? Jemand der einen oft ganz ohne Worte verstand oder einen nur halb ausgesprochenen Gedanken zu Ende spinnen konnte?
Wenn sie zurück in Efferdas war, würde sie Arbas aufsuchen und mit ihm sprechen. Sie schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und ließ die sanfte Brise und die Strahlen der Praiosscheibe über ihr Gesicht streichen. Wieder drängten sich die Bilder des heutigen Erwachens in ihre Gedanken. Unwillkürlich kroch ihr der Duft von schwerem Parfum, Schweiß und verschüttetem Wein in die Nase, dazu das Knistern der Kohle im Kamin, der leise Atem der Schlafenden in ihren Ohren. Es folgten die Bilder vom zufrieden schlafenden Baron Mathesio dil Cordori, der zu ihrer Rechten lag, und der rothaarigen Leibwächterin mit dem kantigen, Narben übersäten, aber dennoch nicht unattraktiven Gesicht. Die beiden jungen Schönheiten, die in einiger Entfernung auf seidenen Diwanen, welche überall in dem großen Raum verstreut herumlagen. Der attraktive junge Mann und die nicht minder schöne, schlanke junge Frau, deren beider Namen sie immer noch nicht kannte und wohl auch niemals erfahren würde. Was im Detail in der Nacht passiert war, entzog sich ebenfalls hartnäckig ihrer Erinnerung. Lediglich einige schemenhafte Bildfragmente blitzten gelegentlich auf. Auch der juwelenbesetzte Armreif, den sie noch immer an ihrem Handgelenk trug, drängte sich wieder in ihr Bewusstsein. Ein wirklich kostbares Schmuckstück, das sie abgestreift und eilig unter einem Kissen hatte verschwinden lassen, nur damit es ihr der Baron auf der Kutschfahrt zu diesem Flusssegler erneut umlegen konnte.
„Bitte behaltet dieses kleine Geschenk an eure Schönheit, es würde mich zutiefst kränken und beleidigen, wenn ihr es zurückweist“, hatte er geflötet, als er es ihr erneut umgelegt hatte.
Es war ihr mit jeder Faser ihres Körpers unangenehm, aber sie wagte es nicht, dieses viel zu kostbare Kleinod abzulehnen. Der gute Mathesio mochte noch so zuckersüß dreinblicken, aber Amalia hatte das untrügliche Gefühl, dass der Baron auch unangenehm werden konnte, wenn er seinen Willen nicht bekam. Dann musste sie an die Anderen denken, an Dareius, seine Schwester Cariana und Orleane. Keine Spur war mehr von der ungezwungenen und fröhlichen Art geblieben, wie sie es im Hotel Alt-Bosparan erlebt hatte, als ihre Mutter dem Oberhaupt des Hauses Amarinto den Prunkmantel im exklusiven und exquisiten Amarinto-Rot übergeben hatte. Ihr wollte scheinen, dass sich zumindest keiner der drei an wesentlich mehr erinnern konnte als sie und daher auch niemand mit Sicherheit wusste, ob er oder sie nicht doch mit einem oder mehreren der Anderen mehr als nur getrunken und getanzt hatte. Und niemand konnte sich sicher sein, dass keiner der anderen vielleicht doch die ein oder andere Erinnerung mehr hatte. Das sorgte zumindest bei ihr für Verunsicherung.
Bei Baron dil Cordori und Baronessa Ollantur war sie sich nicht so sicher, dass deren Erinnerungen ebenso bruchstückhaft und nebulös waren, ganz im Gegenteil.

Der junge und stattliche Jäger, der zu Dareius Amarintos Gefolge gehörte, trat neben Amalia an den Bug und verneigte sich höflich, während er sogar seinen Hut abnahm, um sie zu grüßen.
"Guten Morgen, Signora.”
Er wirkte verunsichert und ein wenig schüchtern und während er auf den Yaquir vor ihnen blickte, seufzte er herzerweichend. Er sah innerlich zerrissen aus, schuldbewusst, fast ein wenig ein treuer Hund, der beim Diebstahl eines Stücks Fleisch vom Teller der Herrschaften erwischt worden war.

Amalia hatte die Augen bereits geöffnet, als sie die sich nähernden Schritte vernommen hatte, nun richtete sie den Blick auf den jungen Mann. Sie erkannte den jungen Mann als einen der Jäger aus Cavalliere Dareius Amarintos Gefolge. Röte stieg der Efferdierin in das aufgrund der Strapazen und des mangelnden Schlafs blasse Gesicht bei dem Gedanken an Dareius. Was Dareius wohl über die vergangene Nacht noch wusste? Oder Cariana, seine Schwester und Orleane ya Pirras? Sie würde zu gerne wissen was die drei noch von vergangener Nacht wussten! Das heißt, wollte sie das wirklich?
Dass sie mit Baron dil Cordori im Bett landen würde, war ihr schon bei seiner Einladung zu dem Maskenball klar gewesen, die Art wie er sie angesehen hatte, hatte ganz klar gesagt: 'Die kleine, unbekannte Esquiria aus dem fernen Efferdas muss Teil meiner Trophäensammlung werden!' Und sie war nun wirklich kein Kind von Traurigkeit. Aber dass Dareius Amarinto, ein neuer und wichtiger Geschäftspartner ihrer Familie, Cariana Amarinto, die Schwertmutter Methelessas und eventuelle Interessentin an ihren Streitwagen, sowie Orleane ya Pirras, ausgerechnet eine ya Pirras, dabei irgendwie ebenfalls eine Rolle spielten, war nun ganz und gar nicht geplant und auch keineswegs erwünscht gewesen.
Nein, nein, nein …
Sie musste sich ganz arg beherrschen, jetzt nur nicht in Panik geraten und die Nerven verlieren.
Sie schob rasch den äußerst beängstigenden Gedanken, ob die ganze Sache Auswirkungen auf das geschäftliche Verhältnis zwischen Amarinto und Gerber haben würde, entschieden in eine Kiste in ihrem Gedächtnis und sicherte diese mit einem schweren Schloss. Jetzt musste sie herausfinden was der Firunjünger auf dem Herzen hatte. Die Ablenkung würde ihr vielleicht ganz gut tun und die sinnlose Grübelei über die letzte Nacht zumindest für eine Weile verdrängen.
Dieser herzerweichende Seufzer und die Art, wie er nun da am Bug stand!
Wie ein kleiner Junge, der etwas angestellt hatte, vom Nachbarn erwischt worden war und nun verzweifelt überlegte, wie er es seinem Vater am besten gestand, bevor dem der Nachbar seine Version erzählen konnte.
Was also mochte ihn dazu veranlassen, sich zu ihr zu gesellen, ausgerechnet zu ihr? Und was bei Phex war dem Kerl so ganz offensichtlich schrecklich unangenehm?
Man konnte ja glatt annehmen, der wäre gestern Nacht dabei gewesen! Amalia konnte nicht ahnen, wie nah sie mit ihrem letzten Gedanken der Wahrheit war.
Sie räusperte sich: „Ebenfalls einen guten Morgen! Ich bin Esquiria Amalia Gerber aus Efferdas und ihr seid Jäger aus dem Gefolge des Cavalliere Amarinto, wenn ich mich nicht irre. Was verschafft mir die Ehre eurer freundlichen Gesellschaft?“
Sie erhob sich nun, es war ihr in dieser Situation irgendwie unangenehm, dass der eh schon etwas größere Mann auf sie herabblickte, wenn sie auf der Kiste sitzen blieb. Allerdings achtete sie darauf, etwa zwei Schritt Abstand zu halten, falls sie jemand beobachtete, sollte diese Person nicht den Eindruck einer Vertrautheit zwischen ihnen gewinnen. Bei den Zwölfen, wurde sie jetzt etwa paranoid? Schon das sie sich als Esquiria vorgestellt hatte, war sonst so ganz und gar nicht ihre Art. Sie bildete sich weder auf die Tatsache, aus einer sehr wohlhabenden Patrizierfamilie zu stammen, etwas ein, noch darauf, an der Universität in Methumis studiert zu haben und eine der Jahrgangsbesten der Ingerimm-Schule gewesen zu sein. Das alles machte sie zu keinem besseren Menschen, als es der Bedienstete ihr gegenüber oder jeder der Matrosen des Flussseglers war. Wohlstand, gesellschaftlicher Stand, Bildung oder von wo jemand stammte, sagte rein gar nichts darüber aus, was für ein Mensch man war, das zumindest war ihre feste Überzeugung.

Der junge Jäger senkte den Blick.
“Es ist mir eine Ehre, Signora Esquiria.”
Er nahm seinen Hut wieder ab und hielt ihn schützend wie ein Schild vor seinen Körper gepresst.
“Ja, ganz recht, Cavalliere Amarinto hat mich gnädigerweise als seinen Jagdmeister angestellt. Es freut mich sehr eine solche Gelegenheit zu erhalten in Anwesenheit des Kaisers und so vieler hoher Herrschaften meine Fähigkeiten zu demonstrieren.”
Er lächelte ein wenig schüchtern.

Sie musterte ihr Gegenüber, das immer noch einen fernen Punkt auf dem Yaquir fixierte.
„Ihr seht sehr bekümmert aus, hat euch eure Liebste verlassen, oder habt ihr sie bei all den Versuchungen in Vinsalt gar selbst betrogen? Wenn ihr mit jemandem reden wollt, ich höre euch gerne zu und wenn ich kann, will ich euch gerne helfen!“
Sie trat einen Schritt auf den Mann zu: „Manchmal hilft es sich, sein Leid von der Seele zu reden, auch wenn es eine vollkommen Fremde ist! Eure Geschichte ist sicher bei mir, ich werde mit niemandem darüber sprechen, das schwöre ich beim Herrn Praios!“
Irgendwie tat ihr der Mann leid, er wirkte verzweifelt und ein bisschen sorgte sich die mittelblonde Endzwanzigerin, der Mann könnte gar aus Kummer über Bord springen.

Der junge Jäger riss die Augen auf, als ob Amalia gerade in seine Seele geschaut oder einen Zauberspruch gesprochen hätte. Seine Stimme wurde vor Nervosität eine Oktave höher.
“Was? Äh … nein! Wie kommt ihr darauf Signora?”
Dann blickte er kurz erschrocken zu den Amarinto-Geschwistern und Orleane ya Pirras, bevor er sich verschwörerisch an Amalia wandte und flüsterte.
“Oder … oder … haben die Signoras etwas gesagt?”
Er wurde kreidebleich bei dem Gedanken.

Jetzt war es an Amalia überrascht zu sein, sie gab sich alle Mühe es sich nicht anmerken zu lassen, doch für einen Wimpernschlag hatten sich in ihrem Gesicht die Anzeichen der Überraschung gezeigt.
Was bei den Niederhöllen war gestern nur geschehen und was zum Necker wusste der Jagdmeister darüber und noch viel wichtiger, wenn er etwas wusste, von wem oder woher? Amalia hätte vor Anspannung schreien können, verdammt was war nur in diesem vermaledeiten Wein für ein Dämonenpulver? Sie ermahnte sich, sich wieder auf ihr Gegenüber zu konzentrieren.
„Nun beruhigt euch, mein Lieber …“
Sie stutzte kurz und sagte dann mit verschmitztem Lächeln: „Soll ich euch Signor Jagdmeister nennen? Es würde jedenfalls zu Signora Esquiria passen, oder verratet ihr mir euren Namen? Mir zumindest wäre wohler, wenn ihr mich mit Signora Amalia ansprechen würdet. Das Andere klingt so, als würde man von einer völlig fremden, nicht anwesenden Person sprechen.“
Sie trat näher an den Bug und blickte nun auch den Yaquir hinauf.
„Ganz sicher ist Cavalliere Amarinto sehr von euren Fähigkeiten überzeugt, denn so wie ich ihn kennengelernt habe, hat er eine sehr ausgeprägte Menschenkenntnis und überträgt niemals jemandem eine Aufgabe oder gar einen Posten, wenn er nicht absolut davon überzeugt ist, dass die oder derjenige der Sache auch wirklich gewachsen und in der Lage ist mindestens seine Erwartungen zu erfüllen. Das heißt also Signor Dareius hält große Stücke auf euch, ihr müsst ein Liebling Firuns sein!“
Mal sehen ob sie den jungen Firunjünger etwas beruhigen konnte, wenn sie ihn auf einen anderen Gedanken brachte als den, der ihn offenbar so sehr beschäftigte und sogar zu ängstigen schien!

Der Jäger sah sie überrascht an.
“Was, äh, nein. Ich bin kein Signor, Signora Amalia! Esindio van Smeet ist mein Name. Ich bin Jäger in Diensten des Hofjagdmeisters von Phecadien, Rowin von Durinquell, und derzeit für die Kaiserjagd von Cavalliere Dareius Amarinto engagiert. Ob der Cavalliere mit meinen Diensten zufrieden ist, wage ich nicht zu beurteilen. Jedoch werde ich natürlich mein bestes geben ihm bei der Jagd tatkräftig zur Seite zu stehen.”
Über die Jagd zu sprechen schien dem jungen Jäger deutlich mehr zu behagen als gesellschaftliche Themen.

Na immerhin, der junge Mann verlor langsam seine Anspannung und Nervosität!
Offenbar hatten sie ein Thema gefunden, das den Jäger von dem, was sein Herz bedrückte, ablenkte und für den Moment musste Amalia wohl nicht mehr fürchten, er würde sich in den Yaquir stürzen.
Soso, der Landvogt von Venga, Cavalliere Rowin von Durinquell war also der eigentliche Dienstherr von Esindio. Entweder war der stattliche Jägersmann trotz der relativ wenigen Götterläufe, die er auf Dere wandelte, ein von Firun begnadeter Waidmann oder die van Smeet sehr gut angesehen und vernetzt, anders konnte sich die Efferdierin nicht erklären dass man in so hohen Kreisen seinen Dienst so schätzte.
Wie dem auch sei, es war Zeit das Gespräch fortzusetzen: „Meister Esindio, mir will scheinen, ihr seid ein erfahrener und begabter Jäger. Ich bin da das komplette Gegenteil. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ist dies überhaupt meine allererste Jagd. Ob ihr mir wohl ein paar Ratschläge geben könntet, damit ich mich nach Möglichkeit nicht vor dem versammelten horasischen Adel blamieren muss?“
Mit leicht verlegenem Lächeln blickte sie ihr Gegenüber an.

Der schüchterne Jäger taute etwas auf.
“Äh, natürlich Signora. Was möchtet Ihr denn wissen? Ich könnte Euch einige Hinweise geben, wie Ihr Euch bei der Jagd verhalten könnt um Euch elegant zwischen den bereits erfahrenen Jägern zu bewegen.”

Amalia nickte: „Das wäre sehr hilfreich und sicher gibt es, wie bei den meisten Berufen auch im Jägerhandwerk Fachbegriffe. Vielleicht könntet ihr mir einige der wichtigsten davon beibringen, damit man nicht schon beim ersten Gespräch merkt, dass ich von der Jagd nicht die geringste Ahnung habe.“
Sie zuckte mit den Schultern: „Ich verstehe mich darauf eine Armbrust zu bauen und ich kann damit auch ganz passabel schießen, aber unter uns, wie man Wild sucht oder gar findet, was für eine Spur welches Tier hinterlassen hat oder ob Bogen oder Armbrust oder vielleicht doch ein Speer die bessere Wahl für eine Jagd ist, ich habe schlicht keine Ahnung!“
Erst jetzt bei dem Gespräch mit Esindio wurde der Mechanika so richtig bewusst, dass sie schlicht überhaupt keine Ahnung hatte, was sie auf dieser Kaiserjagd erwartete. Ein Gefühl von Unsicherheit und Sorge machte sich in ihr breit.

“In Ordnung, ich versuche Euch die Grundlagen kurz zu schildern, Signora!”
Dann begann der junge Jäger einen Vortrag zu den Grundlagen der modernen Jagd, der einem Magister an der Universität von Methumis alle Ehre machen würde. Jedoch bemerkte Amalia, dass er immer wieder verstohlene Blicke zu Cariana Amarinto und Orleane ya Pirras warf, als ob er sich versichern wollte, dass sie ihn nicht beobachteten.

Esindio hatte wirklich Talent, sein Wissen auch an jemanden weiterzugeben, der keine Ahnung von der Jagd und zugegebenermaßen, zumindest bisher kein Interesse an dem Thema hatte. Die Efferdierin folgte aufmerksam seinen Ausführungen, stellte Fragen, wenn ihr etwas unklar war, die der junge Jäger geduldig und ruhig beantwortete. Trotz ihrer Konzentration auf die Ausführungen, blieb Amalia nicht verborgen, dass Esindio noch immer eine gewisse Grundanspannung in sich trug, aber nicht die des Jägers, der den Beginn der Jagd nicht erwarten konnte, sondern vielmehr die eines Kindes, dass etwas angestellt hatte und nun darauf wartete, das die Eltern die Tat entdeckten.
Auch die Blicke zu den beiden Damen blieben ihr keineswegs verborgen, doch waren es nicht die begehrlichen, schmachtenden Blicke eines Verliebten, vielmehr lagen Sorge und eine Art schlechtes Gewissen in seinem Blick.
Der gutaussehende van Smeet, dem sicher die Herzen der Mädchen scharenweise zuflogen, hatte eine sehr angenehme Stimme und seine Art auch die langweiligsten Dinge so vorzutragen, dass man ihm gerne zuhörte und sich das Gesagte auch merkte, waren wirklich erstaunlich, sie hätte sich während ihres Studiums mehr Lehrmeisterinnen und Dozenten gewünscht die ein solches Talent hatten ihr Wissen weiterzugeben.
Als ihr Ausbilder eine kurze Pause machte und zu überlegen schien, ob er irgendetwas Wichtiges vergessen haben könnte, und sein Blick wieder in die Richtung der beiden Signoras Amarinto und ya Pirras ging, ergriff Amalia das Wort: „Mein geschätzter Esindio van Smeet, ich danke euch sehr für eure Unterweisung, ihr habt wirklich eine unglaublich angenehme Art Menschen euer enormes Wissen zu vermitteln und glaubt mir, dass ist nicht vielen Fachleuten gegeben. Erlaubt mir bitte, mich bei euch zu revanchieren.“
Sie sah ihr Gegenüber mit einem warmen, mitfühlenden Blick an: „Ich sehe euch an, dass eine große und schwere Bürde auf eurer Seele lastet.“
Sanft legte sie eine Hand auf seinen Unterarm, darauf achtend, dass ihr Körper diese Geste vor den Blicken anderer verbarg: „Es schmerzt mich sehr, einen so freundlichen und gutherzigen Menschen in solcher Seelenpein zu sehen! So gerne möchte ich euch helfen, eure Not zu lindern. Esindio, ihr könnt mir vertrauen, ich schwöre euch bei den Zwölfen und allen Heiligen, was immer ihr mir jetzt und hier anvertraut, wird niemals jemandem offenbar. Es bleibt zwischen uns und ich will alles tun, was in meiner Macht steht, um euch zu helfen.“
In ihrem Gesicht lag Mitgefühl, Zuversicht und der feste Wille zu helfen und die Überzeugung, dies auch zu können.

Der junge Jäger freute sich sichtlich über die Anerkennung, aber rang auch mit sich innerlich. Schließlich seufzte er und beugte sich zu Amalia herüber und flüsterte.
“In Ordnung, aber bitte versprecht mir, niemandem etwas zu verraten. Ich … ich weiss nicht, was in mich gefahren war, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Ich bin nur ein einfacher Mann aus dem Volk, kein Nobile oder Patrizier wie Ihr, ich habe außerhalb der Jagd keine Erfahrung mit den Gewohnheiten und Zeitvertreiben des Adels.”
Er sammelte sich und beruhigte sich ein wenig. Dann blickte er Amalia ins Gesicht, er war beschämt und sorgte sich, aber ein kleiner Teil war auch stolz.
“Ich habe gestern das Lager mit den Signoras Amarinto und ya Pirras geteilt.”
Als er es ausgesprochen hatte, war ihm sichtlich ein Stein vom Herzen gefallen. Er beeilte sich nachzuschieben: “Aber glaubt mir, ich hatte keine Wahl! Sie waren sehr bestimmt, als sie des Nachts in euphorischer Stimmung in das Gästehaus kamen und sie ließen meine Argumente nicht gelten.”
Er saß nun dort und knetete seine Finger.
“Ich traute mich nicht, ihnen zu widersprechen.”
Er seufzte.
“Nun habe ich das Versprechen, das ich meiner Frau im Travia-Tempel gab, gebrochen. Die Göttin wird mir sicherlich deswegen zürnen, und wenn der Cavalliere Amarinto das erfährt, weiß ich nicht, was er tun wird.”
Er wirkte ehrlich geknickt. Aber Amalia konnte dennoch einen Anflug eines Lächelns auf seinem Mundwinkel entdecken. Er war eben doch auch ein Mann.

Die efferdische Mechanika war für einen Augenblick hin und her gerissen zwischen einem Ausruf der Verwunderung und einen anerkennenden Pfeifen. Zum Glück konnte sie sich beherrschen und es blieb bei vor Überraschung weit geöffneten Augen. Ihre Lippen formten tonlos ein ungläubiges ‚Nein!‘ Sie hörte weiter den Bericht des Jägers an und sie fühlte mit dem armen Tropf. Es war nicht das erste und wohl auch nicht das letzte Mal, dass ihr ein Vertreter des Popolos unter dem Mäntelchen der Verschwiegenheit erzählte, mit einer Patrizierin oder eine Nobila das Lager geteilt zu haben, allerdings war das stets mit prahlerischem Ton und vor Stolz geschwellter Brust geschehen, hier jedoch gaben Verzweiflung, Scham und Angst den Ton an, auch wenn man in kurzen Momenten einen Anflug von Stolz bemerken konnte und man erahnen konnte, dass er zumindest, während er mit den beiden Damen zu Gange war, nicht sehr gelitten hatte.
„Zunächst einmal versichere ich dir noch einmal, dass ich kein Wort von dem, was du mir eben erzählt hast, je weitergeben werde, das schwöre ich bei den Zwölfen und allen Heiligen! Zum Anderen danke ich dir für dein Vertrauen, das weiß ich zu schätzen und es ehrt mich sehr.“
Sie richtete sich etwas auf, blickte auf den Yaquir und versicherte sich dann mit einem beiläufig wirkenden Rundblick, dass sie noch immer ungestört und unbeobachtet waren. Erst dann sprach sie weiter.
„Was nun Travia betrifft, sie wird zwar die Allzeit Treue und auch die Schützerin der Schwüre genannt, aber auch die Strenge und Gütige und vor allem die Gütige Mutter! Ich bin zwar keine Geweihte, aber ich bin sicher, dass Travia Verständnis für deine Situation hat und weiß, dass du nicht aus freien Stücken und aus Wollust das Versprechen gegenüber deiner Frau gebrochen hast. Aber ein Gebet und eine Opfergabe im nächsten Travia-Tempel oder Schrein wird sicher nicht schaden. Was nun deinen Dienstherren betrifft, so denke ich, dass er seine Schwester für Ritterin genug erachtet, als dass er sich genötigt fühlt ihre Ehre in ihrem Beisein zu verteidigen und seine Leibärztin ist ebenfalls eine gestandene Frau und mit niemandem in Travia verbunden. Also nein, ich denke nicht dass du von ihm etwas zu befürchten hast, zumindest nicht solange du nicht damit beginnst mit den Ereignissen der letzten Nacht herumzuprahlen, dass könnte dann doch mit einer Schwertklinge zwischen deinen Rippen enden. Aber ich glaube, du bist selbst Horasier genug, um zu wissen, dass der friedlichste, feigste und faulste Horasier zur Bestie mutiert, wenn die Familienehre angekratzt wird. Auch die beiden Signoras werden ihrerseits die Ereignisse der gestrigen Nacht zu vergessen suchen und hegen sicher keinen Wunsch danach, in dieser Sache noch einmal herumzustochern. Wenn du also hübsch den Mund hältst und die ganze Geschichte auf sich beruhen lässt, wird man dir auch nichts nachtragen oder irgendetwas zu deinem Schaden unternehmen. Und ein Rat von einer Frau, die selbst schon einmal betrogen wurde, ich wollte, ich hätte es niemals erfahren, deswegen erzähle es auch deinem geliebten Weib nicht. Zumal du sicher sein kannst, dass sie es auch von keinem Dritten erfährt. Mach deinen Frieden mit der Geschichte, bitte die Heilige Mutter um Vergebung und Beistand und schweige. Glaube mir, das ist für alle Beteiligten das Beste!“
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Du bist ein guter Mensch, mit einem guten Herzen, Travia wird dir vergeben. Wenn sogar ich sehen kann, wie sehr dir das alles zusetzt, wird erst recht eine Göttin in dein Herz blicken können.“
Sie lächelte ihm aufmunternd zu. Sie konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass Cariana oder Orleane danach trachteten, den jungen Jäger wegen der Ereignisse der gestrigen Nacht, zu denen sie ihn zudem selbst genötigt hatten, nun zu strafen. Es gab sicher Patrizier und Nobile, die von solch niederträchtiger Natur waren, aber ganz sicher nicht diese beiden Frauen, selbst wenn die Eine aus dem Hause ya Pirras stammte. Irgendwas sagte Amalia, dass sie nicht die Einzige war, die heute Morgen wach geworden war, nur Bruchstücke der letzten Nacht in ihrer Erinnerung fand und nicht den geringsten Schimmer hatte, wie sie überhaupt an den Ort ihres Erwachens gekommen war.

Der Jäger hörte Amalia aufmerksam zu, sein schuldbewusster Blick hellte sich ein wenig auf nach ihren aufmunternden Worten.
“Danke Signora, für Euer Verständnis und Eure Verschwiegenheit. Ich werde bei der Heiligen Mutter um vergeben bitten, sobald die Kaiserjagd vorüber ist.”

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