Briefspiel:Kaiserjagd/Wenn Träume verblassen III
Wenn Träume verblassen III
1. Firun 1046 BF, auf dem Yaquir zwischen Vinsalt und Aldyra
Autoren: Amarinto, Carenio, Gerberstädter, Tribec, VivionaYaPirras
Skrayana und Methelessa
Skrayana und Methelessa standen zusammen am Heck der Flussbarke, in der Nähe der Steuerfrau, die konzentriert ihrer Arbeit nachging. Die beiden hatten eine heitere Nacht im Wirtshaus Kusliker Tor verbracht. Es gehörte den Gastgebern der Amarinto, der Familie Galfard, und die Knappinen hatten zu ihrer Überraschung einen freien Abend erhalten, den sie nach eigenen Vorstellungen füllen durften. Zu ihnen war auch Tiro d'Amarinto gestoßen, der als Knappe von Heldor Galfard sowieso in Vinsalt weilte. Er war der Bastardsohn der Cousine von Dareius Amarinto und war stets umgeben von einer Aura der Traurigkeit. An diesem Abend war er jedoch in Gesellschaft der beiden lebenslustigen Knappinen ein wenig aufgetaut und hatte nach einigen Humpen Bier ein erstaunliches Talent beim Tanz auf den Tischen gezeigt.
Sie hatten alle ordentlich gezecht und getanzt und hatten nach ihrer, deutlich zu späten, Rückkehr in die Unterkunft bereits große Sorge gehabt, eine Standpauke von ihren Schwerteltern zu erhalten. Diese waren zu ihrer Überraschung selbst jedoch noch gar nicht zurück vom Maskenball, als sie eintrafen. Die beiden Knappinen waren jedoch später in der Nacht aufgewacht, als eine Gruppe von deutlich angeheiterten Festbesuchern die Unterkunft betrat. Danach hatten sie Geräusche aus Cariana Amarintos Zimmer vernommen, die sowohl die Neugier und Fantasie anregten und in den beiden jugendlichen Knappinen Ungläubigkeit und Scham auslösten. Cavalliere Dareius und sein Leibwächter Arion Amarinto kehrten gar erst am Morgen in die Unterkunft zurück und packten hastig alle Sachen zusammen um zum Schiff zu eilen. Keiner hatte bislang ein Wort über die Nacht verloren und so blieb den beiden Knappinen nur übrig zu spekulieren.
Skrayana rang sichtlich nach Worten, als sie sich an Methelessa wandte.
“Ähm, also … was bei Rohals Bart ist da gestern eigentlich passiert? Glaubst du auch, was ich glaube … nein, das kann doch nicht sein, oder?”
Methelessa schüttelte den Kopf und sah die Freundin hilflos an, dann zuckte sie mit den Schultern: „Ich wünschte Signora und Signor Amarinto wären gestern einfach da gewesen als wir viel zu spät zurückgekommen sind, hätten uns eine ordentliche Standpauke gehalten und uns mit einigen Strafdiensten eingedeckt und alles wäre so, wie es zuvor war!“
Sie blickte von der Halbgjalskerländerin in die Richtung, in der die Geschwister Amarinto außer Hörweite fast wie zwei Statuen an der Reling standen und in die Ferne zu starren schienen. Zwei Matrosen kamen recht dicht an die beiden Knappinnen heran und werkelten an irgendwelchen Seilen herum, sodass die Schwarzhaarige in das Gjalskische wechselte, eine Abart des Thorwalschen und die Muttersprache von Skrayanas Vater.
„Das ist doch alles total unheimlich. Ich wüsste auch gerne, was da letzte Nacht passiert ist. Und um Deine Frage zu beantworten, ich mag es mir weder vorstellen noch glauben, aber irgendwie deutet doch alles darauf hin, oder?”
Unwillig schüttelte sie den Kopf.
“Was meinst du, ob ich meine Cousine fragen soll? Vielleicht redet sie unter dem Mäntelchen der familiären Verschwiegenheit mit mir darüber, was letzte Nacht geschehen ist. Sie hat ja auch nicht gerade sehr erholt und glücklich aus der Wäsche geschaut, die weiß auf jeden Fall was!“
Sie blickte auf die andere Seite des Schiffes, wo die Dottora ya Pirras stand, zu der sich nun diese Baronessa Ollantur gesellt hatte.
„Auch dass die Dottora nicht bei Signora und Signor steht und die drei noch nicht ein Wort miteinander geredet haben, ist doch alles andere als normal, und diese Frau da, die ist mir ebenfalls suspekt, mit der stimmt auch etwas ganz und gar nicht!"
Sie blickte wieder zu der blonden Condottiere-Tochter.
„Was hältst du von dem Weib?“
Methelessa hatte weiter auf gjalskisch gesprochen und die Nennung von Namen vermieden, irgendwas in ihr mahnte sie zur Vorsicht.
Skrayana lachte kurz auf, aber bekam sich dann wieder unter Kontrolle.
Sie antwortete auf Horathi: “Du hast gerade Kuh gesagt. Aber ich verstehe schon, was du meinst.”
Sie wechselte wieder ins Gjalskerländische.
“Diese Kuh ist die Baronessa Ollantur. Eine berühmte Schauspielerin und die Leiterin der Seebühne von Ruthor. Ob du es glaubst oder nicht, aber sie ist nur ein paar Götterläufe älter als wir! Sie war schon bei vielen Festen in der Nähe von Cavalliere Dareius und ich hab sie häufiger Tanzen gesehen. Vielleicht ist sie an ihm interessiert?”
Dann stutzte sie kurz.
“Aber meinst du, du könntest deine Cousine fragen?”
Die Neugier Skrayanas hatte merklich die Oberhand gewonnen.
Die Schwarzhaarige stutzte. Kuh?
„Ach egal, ob Kuh oder Weib oder Baronessa! Irgendwas an der ist faul.“
Flüchtig blickte sie zu der Dottora und der Baronessa. Signora ya Pirras mochte die Dame ganz offensichtlich auch nicht, das war an ihrer Körpersprache gut zu erkennen. Ein weiterer Punkt, der ihr die Heilerin so sehr sympathisch machte, ihr verdankte Methelessa immerhin, dass die Narbe in ihrem Gesicht nur eine feine Linie war. Ihr schauderte, wenn sie an so manche fleischige, wulstige Narbe, die sie bei Männern und Frauen gesehen hatte, die an deutlich weniger talentierte oder motivierte Heiler, Feldschere oder gar Scharlatane geraten waren.
„Schauspieler?“
Sie schüttelte unwillig den Kopf.
„Das passt zu der, die schauspielert nicht nur auf ihrer Seebühne!“
Wieder richtete sie ihren Blick auf ihre Schwertmutter und die Besorgnis war nicht zu übersenden.
„Das gefällt mir auch überhaupt nicht. Zwei Geschwister die sich wirklich, wirklich mögen, achten und respektieren, stehen da wie zwei Fremde!“
Wieder flog ihre schwarze Lockenpracht hin und her.
„Ich hoffe doch sehr, dass dein Schwertvater nicht auf so eine hereinfällt.“
Ihr Blick ging nun wieder zu der Freundin.
„Ich werde mein Glück auf jeden Fall bei ihr versuchen. Ob sie mir genug vertraut, wird sich ja dann zeigen!“
Sie drehte sich nun zum Bug hin um und blieb dann sofort wie angewurzelt stehen: „Das ist doch Esindio, der Jagdmeister von Cavalliere Dareius? Was macht der denn bei Amalia?“
Sie runzelte die Stirn.
„Da ist doch auch was im Busch! Der sieht aus, als ob Golgari persönlich ihn gefragt hätte, ob er ein Stück mit ihm fliegen möchte, und meine Cousine macht auf Adlige, das passt so gar nicht zu der Delphinocco spielenden, trinkfesten, sich in den übelsten Hafentavernen herumtreibenden Mechanika, die fluchen kann, dass sogar gestandene Seemänner rot werden.”
Ratlos blickte sie zu der Freundin. Was war hier nur los?
Skrayana sah ratlos aus und zuckte nur mit den Schultern, sie fiel wieder ins Horathi zurück.
“Ich hab keine Ahnung, was hier los ist. Die Kaiserjagd und die Hauptstadt scheinen alle komplett verrückt zu machen.”
Methelessa überlegte kurz: „Wollen wir zu unseren Schwerteltern gehen und sehen, ob wir irgendwie zu Diensten sein können? Später werde ich mit Amalia reden, vielleicht kann ich von ihr etwas über die vergangene Nacht erfahren!“
Skrayana nickte unsicher.
“Wie es aussieht ist Signor Dareius nun im Gespräch mit der Baronessa della Carenio. Da will ich ihn nicht stören. Kann ich solange bei dir und Signora Cariana bleiben?”
“Klar, ich wüsste nicht was die Signora dagegen haben sollte.” Gemeinsam machten sich die jungen Frauen auf den Weg zu der Turnierkämpferin.
Corvona und die Geschwister Amarinto
Corvona di Bellafoldi betrat das Deck der Flussbarke.
Sensibel, wie sie war, nahm sie die merkwürdige Stimmung an Deck wahr. Heute morgen war Orleane schon kurz angebunden und völlig in Gedanken versunken. Und nun an Deck war es nicht anders. Dort stand Orleane mit dem Rücken zur Reling. Vor ihr stand Baronessa Dalia Ollantur und beide sprachen miteinander. Der Wortwechsel endete abrupt, als Orleane sich setzte, sich mit ihrem Rücken an die Reling lehnte und ihre Gesprächspartnerin ignorierte. Corvona runzelte die Stirn.
Gegenüber an der anderen Reling standen die Geschwister Amarinto und starrten auf den Fluss, ohne ein Wort miteinander zu wechseln.
Hinter sich vernahm sie eine ihr fremde Sprache, aber sie erkannte die Stimmen. Es waren die beiden Knappinnen der Geschwister Amarinto. Corvona wandte sich um und sah beide am Heck stehen und auf ihre Herrschaften deuten. Auch sie schienen das seltsame Verhalten der beiden zu bemerken.
Sie fragte sich, was vorgefallen war. Fast bereute sie es, gestern die Feierlichkeiten bei ihrer Familie verbracht zu haben. Aber wen konnte sie fragen? Ihre Freundin wich ihr aus. Auch sonst hatte sie nicht mitbekommen, mit wem Orleane den Abend verbracht hat. Einmal hatte sie sie kurz auf der Tanzfläche in Begleitung eines ihr unbekannten jungen Mannes gesehen, aber diesen hatte sie hier auf der Barke noch nicht zu Gesicht bekommen.
Langsam begab sie sich in Richtung der Geschwister. Bei jedem Schritt, den sie sich näherte, ließ sie ihren Stab auf den Boden prallen, als wollte sie die beiden nicht erschrecken. Trotzdem regte sich nichts bei ihnen und als sie sie erreicht hatte, sprach sie sie an.
“Vetter, würdet ihr mir kurz Eure Aufmerksamkeit schenken? Ich würde gerne wissen, was gestern zwischen Euch und meiner Freundin vorgefallen ist.”
Dareius und Cariana wandten sich zu Corvona um und waren aufgrund der ungewohnt direkten Ansprache durch die sonst eher schüchterne Magierin sichtlich überrascht. Dareius seufzte, während sich Cariana zur Seite wandte, sichtlich nach Worten ringend. Dareius legte Corvona die Hand auf die Schulter und führte sie ein Stück weg.
“Cousine, ich weiss Eure Sorge um Signora Orleane und auch meine Schwester und mich sehr zu schätzen. Jedoch lässt sich das nicht so einfach beantworten.”
Die Worte kamen zäh wie Sirup aus seinem Mund.
“Die Ereignisse der gestrigen Nacht haben Spuren hinterlassen und es wird einige Zeit dauern, Ordnung in die Dinge zu bringen. Jedoch … und hierbei erwarte ich Eure absolute Verschwiegenheit, kann ich nicht leugnen, dass einige rauscherzeugende Substanzen eine wichtige Rolle spielten.”
Er sah Corvona todernst in die Augen.
“Und damit meine ich nicht Rauschkraut und dergleichen, wir sprechen hier von den Substanzen, die selbst Al'Anfaner Granden nicht ohne Respekt beim Namen nennen und die Träume erzeugen, die von der Realität nicht unterschieden werden können.”
Er sah sie eindringlich mit den tief in ihren Höhlen liegenden Augen an. Eine einzelne Schweißperle rann über seine Stirn und tropfte von seiner Augenbraue auf das Deck des Schiffes. Sein Atem kam stoßweise, rasselnd aus seinen Lungen und seine Gesichtsfarbe gemahnte eher an einen Boroni. Er war ganz offensichtlich von den Resten dieser Substanzen immer noch nicht vollkommen befreit und nahm seine gesamte Kraft zusammen, um angesichts der Nachwirkungen eine einigermaßen würdevolle Haltung einzunehmen. Sein Blick war fast schon ein wenig flehentlich.
“Könnt Ihr … könnt Ihr uns auf magischem Wege helfen?”
Es war das erste Mal seit der Reise in Dareius Träume vor einigen Wochen, die sich wie Götterläufe anfühlten und erst das zweite Mal überhaupt, dass er sie darum bat einen Zauberspruch auf ihn zu wirken.
Corvona hob eine Augenbraue.
“Was habt ihr getan? Wie konntet Ihr nur so töricht sein, Vetter? Und wer noch? Orleane etwa …?“
Kurz räusperte sich die junge Maga, um sich selber zu beruhigen.
“Nein Vetter, dieses Mal kann ich Euch leider nicht helfen. Was ihr von mir verlangt gehört zur Magica Curativa und in dieser bin ich nicht bewandert, noch habe ich in den letzten Tagen mit einem Kollega gesprochen, der dieser fähig ist. In unseren Landen werden diese Formeln nur in der Accademia Magica Curativa gelehrt. Und zwar in Vinsalt, dem Ort wo die heutige Reise begann.”
Sie sah die Enttäuschung in Dareius’ Augen.
“Verzeiht, wenn ich Euch im Moment nicht helfen kann, aber Dottora Orleane hat bestimmt etwas dabei um Euer Unwohlsein zu mildern. Und sobald wir Aldyra erreicht haben, sollten wir uns auf die Suche nach einem Kollega machen, der Euren Körper von diesem Gift reinigen kann. Und sollten wir niemanden finden, wäre es an der Zeit eine Depesche nach Vinsalt aufzusetzen und dort um Hilfe zu bitten. Wer ist sonst noch betroffen? Vetter … hört ihr mir überhaupt zu …?”
Dareius wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, nickte und bedeutete seiner Cousine mit einer subtilen Geste etwas leiser zu sprechen.
“Ich verstehe, ich denke es wird schon gehen. Ihr könnt Euch nun beruhigen. Wir benötigen vermutlich einfach nur etwas Zeit, bis die Nachwirkungen verblassen. Lasst uns heute Abend im Jagdlager noch einmal sprechen.”
Dann straffte er seine Schultern und sah sie mit ernstem Blick an.
“Ihr wisst, dass ich Euren Rat in hohen Ehren halte, Cousine, aber stellt nie wieder meine Entscheidungen in Frage. Ich bin kein naiver Jüngling mehr und mir waren die Konsequenzen meines Handels vollends bewusst. Die hohe Politik erfordert zuweilen Opfer von uns allen und ganz besonders von denen, die Verantwortung für ihre Familien tragen. Der Baron von Ucurino ist unser Schlüssel zu den hohen Familien Vinsalts und ich habe den Eindruck, wir haben ihm eine unvergessliche Nacht beschert.”
Er sah zu Mathesio dil Cordori hinüber, der ebenso erschöpft, aber sehr zufrieden aussah, während er sich in einem bequemen Sessel am reichlich mit Speisen und Getränken gedeckten Tisch unter dem Zeltdach am Heck der Barke ausstreckte.
Wieder hob Corvona nur eine Augenbraue, aber innerlich war sie über diesen Tadel erschrocken. Hatte sie sich wirklich zu viel herausgenommen? Lag dieser Tonfall an den Folgen des gestrigen Abends?
“Wie ihr wünscht, Vetter”, erwiderte sie ruhig und verbeugte sich. “Ich werde Euch heute nicht mehr behelligen. Base Cariana.” Sie verbeugte sich auch in Richtung der Esquiria um sich dann zu entfernen. Sie erblickte Orleane, die sich an der Reling festhaltend in Richtung des Hecks begab. Auch sie zeigte am Morgen ein ähnliches Verhalten wie ihr Vetter.
Sie warf einen Blick zu Baron dil Cordori, neben dem die Baronessa Ollantur stand. Kurz trafen sich die Augen der beiden Damen und Corvona meinte, ein wissendes Lächeln auf dem Gesicht der Baronessa zu sehen.
Cariana Amarinto sah ihren Bruder mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Solcherlei autoritäres Verhalten war bei ihm äußerst selten, vor allem gegenüber engen Verwandten und Freunden. Sie wollte etwas sagen, aber konnte sich nicht überwinden. Daher standen sie beide schweigsam nebeneinander und sahen ihrer Cousine Corvona hinterher. Nachdem einige Momente vergangen waren, konnte sie sich endlich überwinden und ergriff vorsichtig und sanft seine Hand und drückte sie kurz. Dareius sah sie nicht an, aber in seinem Mundwinkel konnte sie einen Anflug seines ansonsten so charmanten Lächelns erkennen.
“Ich sollte mit Baronessa Dimiona sprechen. Es wäre unhöflich sie nicht zu begrüßen. Es ist sicher kein Zufall, dass sie und die anderen Sewamunder dieselbe Flussbarke gewählt haben, auf der auch wir nach Aldyra reisen würden.”
Cariana nickte.
“Ja, ich bleibe noch ein wenig hier. Die frische Luft wird mir sicher gut tun.”