Briefspiel:Königsturnier/23. Rahja I
Tilfur von Eskenderun fordert Bardica della Cordaio
Den Anfang machte der Graf von Eskenderun, Tilfur, der seine einstige Lehrmeisterin Bardica della Cordaio zum Tjost gefordert hatte. Zwar war der Grafenzwilling – damals noch unzertrennlich von seinem Bruder - fast am Ende seiner Ausbildung in Neetha, als Signora della Cordaio die Akademieleitung der Hohen Schule übernahm, aber die Abschlussprüfung soll sie ihm noch selbst abgenommen haben.
Beide Kontrahenten grüßten einander und dann Erzherrscher und Tribüne knapp, bevor sie sich ohne großes Schauspiel zum Kampfe bereitmachten. Beim ersten Anritt war sogleich zu erahnen, wer die erfahrenere Kriegerin von beiden war: Sicher, Comto Tilfur war ein gut ausgebildeter Kämpfer und ein mindestens meisterlicher Reiter – aber anders als die Signora della Cordaio hatte er selbst nie im Felde gestanden. Die Löwenritterin war hingegen schon als junge Maid gegen keinen Geringeren als den Dämonenmeister in die Schlacht gezogen, als sie das chababische Aufgebot des Zugs der Edlen begleitet hatte. So war denn auch ihr Lanzenstoß wohl platziert, während Comto Tilfurs Lanze ins Leere ging. Aber der Pfauenschild der Eskenderun wehrte die Lanzenspitze Bardicas ab – Tilfur schwankte zwar einen Augenblick im Sattel und musste sein Pferd zurück in die Spur lenken, aber er fiel nicht.
Beim dritten Anritt aber, hob Signora Bardica ihr Visier und warf einen Blick gen Himmel, der am heutigen Tage bedauerlicherweise diesig und nicht so klar war, wie an den ersten Tagen des Turniers. Mit einem Ruf „Für den Trodinar!“ senkte sie Visier und Lanze und galoppierte auf den Grafen zu, der sich seinerseits vor dem neuerlichen Ansturm der Löwenritterin wappnete. Erneut war sein Schild eng an den Körper gepresst, der Graf schien sich wieder auf seine Reitkunst verlassen zu wollen, um seiner einstigen Lehrmeisterin keine Blöße zu bieten, indem er einen riskanten Lanzenstoß wagte. Vielleicht erhoffte sich Comto Tilfur größere Chancen im Fußkampf – obwohl er dort die Klinge mit dem meisterlich geführten Rabenschnabel Bardicas hätte kreuzen müssen? Doch im letzten Augenblick senkte sich seine Lanze, um die Neethaner Akademieleiterin wuchtig am rechten Schulterblatt zu treffen und aus dem Sattel zu heben. Sogleich sprang ihr der junge Graf hinterher und half ihr wieder auf die Beine, bevor er dankbar die gepanzerte Rechte hob, um den Jubel der Zuschauer entgegenzunehmen.
Noch fast bis zum nächsten Kampf diskutierte man in den Zuschauerreihen hitzig, wem der – nicht vom Glück gesegnete – Widmungsruf gegolten haben mochte, den Bardica della Cordaio vor dem letzten Anritt ausgestoßen hatte. Mancher wollte erfahren haben, dass die Signora einst eine rahjagefällige Beziehung mit niemand anderem als Furro ay Oikaldiki unterhalten hat – dem Trodinar Chababiens!
Erlan Sirensteen fordert Mondino von Calven
Nun ritten sie auf die Turnierbahn, der rote Federbusch des Comto Sirensteen schwankte leicht im schwachen Lüftchen, das über den Sand wehte. Mit schnaubenden Nüstern galoppierte auf der anderen Seite der Rappe des Schwarzen Calven gen Schranke.
Das Publikum tuschelte und raunte und das ein oder andere „Hoch!“ war zu vernehmen, als Erlan Sirensteen seine Lanze hob, die mit silbrig-grünen Stoffbahnen umwickelt war. Zu diesem Zeitpunkt wusste allerdings nicht jeder, vor allem nicht der Gegner Erlans, Mondino von Calven, weswegen das Publikum den Sirensteener besonders empfing. Wohl mochte man glauben, dass der Verwandte der Verlobten des Horas und des immer noch verehrten Horasmarschalls Folnor gegenüber dem Dienstmann Horasio della Penas mehr Wohlwollen im Popolo genoss. Erst später machte dann die Runde, dass die Lanze des Erlan Sirensteen vermutlich von Fremden manipuliert und wohl innerlich verstärkt wurde. Aber da die Verwendung einer solchen Lanze höchst rondraungefällig sei, verzichtete Comto Erlan darauf, diese zu benutzen. Stattdessen bestand er auf eine normale Lanze, wie sie alle anderen Teilnehmer benutzt hatten.
Schon der erste Anritt bewies, dass ihm die Götter seine Ehrenhaftigkeit mit Glück und Kampfgeschick vergolten haben mochten: Denn die herbeigebrachte – und sogleich geprüfte – Lanze fand unter lautem Krachen ihr Ziel, traf den silbernen Doppelfisch auf dem Schild des Calveners und bohrte sich glatt hindurch! Schwer durchgeschüttelt erreichte Signore Mondino das andere Ende der Bahn und einige hastige Bewegungen mit seinem Schildarm verrieten, dass der Treffer nicht nur für den gebeutelten Schild schmerzhaft gewesen war. Im zweiten Anritt waren beide Kämpfer vorsichtiger, Erlan mochte eine rasche Vergeltung seines Kontrahenten erwartet haben, während sich der Condottiere der Schwarzen Bestie unzweifelhaft abwarten wollte, anstatt neuerlich in einen Lanzentreffer Erlans zu reiten. So schrammten denn beide Lanzen ohne größere Wirkung über Schulterpanzer bzw. Schild beider Reiter. Der dritte und letzte Anritt sah dann wieder beide Lanzen rasch gesenkt und die Rösser eilig angetrieben – und wieder war das Kampfesglück aufseiten des Herren von Irendor! Die Lanze splitterte oberhalb der Brust Mondinos und warf diesen schier aus dem Sattel, nur mit größer Mühe – und großem Geschick – vermochte sich der Calvener noch im Sattel zu halten.
So sollte also der Fußkampf die Entscheidung bringen. Comto Erlan ließ sich von jenem Schwertgesellen namens Refano, der ihn auch bei der Helmschau begleitet hatte, die Waffe reichen und unterhielt sich kaum vernehmlich mit diesem. Der Schwarze Calven stieg dagegen langsam, fast müde von seinem Ross und nahm seine Waffe, die ihm seine Knappin, eine dem Publikum bis dato unbekannte junge Dame, hinhielt, erst nach längerem Warten zur Hand. Während Erlan Sirensteen bereits wieder auf den Sand getreten war, ließ sich Mondino von Calven noch von der Knappin an der Stirn behandeln, offenbar hatte einer der Lanzentreffer des Sirensteen ihm einen Schnitt verpasst.
Nun ertönten zum ersten Mal vernehmliche Rufe nach dem „Schwarzfisch“ aus dem Publikum, denen sich aber gleich „Erlan, Erlan“ oder „Für Udora!“-Rufe entgegenstemmten.
Und, offenbar von seinen bisherigen Erfolgen bestärkt, ging der so angefeuerte tatsächlich zur Attacke über. Mit wuchtigen Schwertschlägen trieb er den Schwarzen Calven vor sich her. Dieser, der als meisterlicher Schwertfechter bekannt war, war entweder vom Ungestüm seines Gegners überrascht, oder noch von den schweren Lanzentreffern beeinträchtigt, musste er doch einen Treffer gegen den Schildarm einstecken. Allerdings konnte er sich seinerseits mit einem tief geführten Stich gegen das Standbein Erlans Luft verschaffen.
Und dergestalt ging es weiter: Der Unterfelser griff beherzt an während der sonst so kühne – ja, arrogante – Mondino nur parierte und eher versuchte, Vorteile aus den ungestümen Angriffen seines Gegners zu ziehen. Dem ersten Schlagabtausch folgten noch zweimal zwei weitere, ohne aber einen Sieger zu finden. Beide hatten Treffer gen Brust und Beine eingesteckt und eben war Signore Mondino im letzten Augenblick unter einem seitlich geführten Hieb Erlans hindurchgetaucht, der ihm Helmschmuck – oder Kopfhaut – gekostet haben mochte.
Ein solches Duell hatten die Zuschauer seit jenem Aufeinandertreffen von Darion Amarinto und Batiste d’Imirandi am ersten Turniertag nicht gesehen!
Der Schwarzen Calven stolperte mehr zurück zur Ausgangsposition, als dass er ging, aber auch sein Gegner lüftete nun sein Visier und zog gierig die schwüle Sommerluft ein. Mondino bat derweil mit knapper Geste um etwas Zeit, nahm den Delfinhelm vom Schädel und winkte wieder seiner Knappin. War Signore Erlans Gesicht nass vom Schweiße, so lief seinem Gegner nun erneut ein schmales Rinnsal Blut aus einer Wunde an der Schläfe und erschwerte so die Sicht. Kaum hatte er den Helm wieder aufgesetzt, sprang Mondino nun eilig vor. Zwar hatte sein Gegner in Kampfstellung gewartet, aber der schnelle Angriff überraschte Erlan sichtlich. Ein angetäuschter Schwerthieb gegen den Helm Erlans, dem ein Schildstoß folgte – da lag der Comto im Sand, kurz danach war ihm die Klinge aus der Hand geprellt und Stahl schwebte über seinem Haupt. Der Geschlagene warf seinen Schild zur Seite, aber während „Schwarzfisch!“ „Schwarzfisch!“ Rufe ertönten – die ihm eher unglücklichen Gejohle der Menge schier untergehen wollten, fragte sich doch mancher, ob Mondino nun tun würde, was ihm damals in Oberfels verwehrt worden war: Rache zu nehmen, für die Verurteilung seines Grafen Horasio! Schon näherten sich der Page Erlans und der Schwertgeselle Refano, aber auch der Persevant Grimjan von Irberod dem erstorbenen Kampfgeschehen.
Nach einer kurzen Ewigkeit des Wartens trat der Schwarze Calven jedoch von seinem Gegner zurück und ließ die Waffe sinken. Eilig kamen nun die Helfer Erlans herbeigeeilt und halfen diesem trotz des Gewichtes seiner Rüstung, wieder aufzustehen.
Auf die Füße zurückgekehrt hob Erlan sein Visier und wandte sich ein letztes Mal an seinen Gegner, diesmal jedoch mit Worten, statt mit der Klinge. „Rondra hat gesprochen, ich gratuliere Euch und akzeptiere dieses Urteil der Leuin. Akzeptiert Ihr auch endlich das im Namen Praios und der anderen Götter gesprochene Urteil des vergangenen Jahres!"
Daraufhin, so erzählten es sich an diesem Abend die Zuschauer, habe der Angesprochene dem Comto in die Augen geschaut und zu sprechen angesetzt. „Wenn Ihr, Comto...“ Doch kein weiteres Wort sei über seine Lippen gekommen, vielmehr habe er nach einigen Momenten kaum merklich den Kopf geschüttelt, als zweifele er über den Sinn einer Antwort. Nach einem rondrianischen Gruß aber habe er dann den Kampfplatz ohne einen Blick zur Seite verlassen.
Kalman von Schelfing fordert Darion Amarinto
Nunmehr ritten die mit roten Schabracken verhüllten Pferde der nächsten beiden Gegner auf die Bahn, ihre Reiter waren gleichsam in rot-weiße bzw. rot-goldene Wappenröcke gestellt. Den einen schmückte die Muschel, das Wappen Kalman von Schelfings, die andere das Pfeilbündel Darion Amarintos. Während der erstere sich länger Zeit ließ, um Tribüne und Volk zuzuwenden, und deren Jubel entgegenzunehmen, war Baronet Darion kaum auf die Bahn geritten, als er seinem Knappen auch schon die Lanze entriss und sich zum Kampf bereitmachte. Das Ungestüm des Patriarchen der Amarinto war unter den Tjostbegeisterten nicht unbekannt, aber diesmal mochte ihn Sorge und Zorn um das Schicksal seines Erstgeborenen um- und antreiben:
In der vorigen Nacht, so berichtete die Turniermarschallin, hatte es einen noch ungeklärten Angriff auf Dareius Amarinto in dessen Turnierzelt gegeben. Die Übeltäter hatten nicht nur in Überzahl angegriffen, sondern den tapferen Constabler Ruthors auch dergestalt verletzt, dass er nur mit Einschränkung an der heutigen Finalforderung hätte teilnehmen können. Daher war ihm, durch besonderes – und unter den anwesenden Ardariten wohl nicht gänzlich umstrittenes – Mandat Elvena d'Abbastanzas eine magische Heilung durch den heilkundigen Magus Syranon ya Aragonza gestattet worden. Um sich ganz von seinen Strapazen zu erholen hatte Elvena schließlich sogar verfügt, dass sein Tjost den Abschluss der ersten Finalforderung bilden sollte.
Jedenfalls zeigte sich, dass die Wut Darions ihn zu einem furchterregenden Gegner machen konnte, denn er preschte, kaum dass das Signal ertönt war, auf den Constabler von Pertakis zu, dass dieser eilig seinem Ross die Sporen gab. Kalman von Schelfing, selbst alles andere als ein unbegabter Reiter, hatte bald erkannt, dass die Wut Baronet Darions ihn in einen Sturmritt versetzt hatte, den auszunutzen möglich war. Hastig senkte er seine Körpermitte über den Hals seines Pferdes und brachte die Lanze in Stellung, um die Wucht von Darions Anritt vielleicht für sich zu nutzen. Doch war sein Manöver um einen Lidschlag zu spät vollendet, schon war der Amarinto heran!
Mit riesenhafter Stärke zersplitterte er schon bei diesem mächtigen ersten Stoß seine Lanze am Bruststück Kalman von Schelfings und rannte ihn nieder, blieb dabei aber selbst fest auf seinem Ross sitzen.
Wenn dieses Aufeinandertreffen auch einen allzu raschen Sieger gefunden hatte, so nötigte doch die schiere Kraft des Lanzenstoßes des Amarinto dem Publikum Respekt und Jubel ab. Der Patriarch der Amarinto hatte also den Anfang gemacht, es blieb abzuwarten, ob sein jüngerer Bruder Horasio und sein Sohn Dareius, die beide später ebenfalls noch auf der Geronsbahn antreten würden, ihm wie bisher folgen würden.
Adalrik von Schreyen fordert Merkan von Farsid
Im kommenden Duell zwischen Adalrik von Schreyen und Merkan von Farsid setzte sich ebenfalls der – zumindest leicht – favorisierte Cavalliere aus der Gerondrata durch. Er besiegte den Sohn des Herzogs von Grangor, Merkan von Farsid, im zweiten Lanzengang, durch einen formidablen Brünnentreffer, dem der wackere Merkan nichts entgegenzusetzen hatte.
Horasio Amarinto fordert Thalion Gabellano
Ganz in scharlachrotem Wappenrock ritt zuerst Horasio Amarinto auf die Geronsbahn, auch sein Pferd trug eine rote Schabracke. Nur wenig später folgte, auf der anderen Seite von Schranke und Bahn, sein Kontrahent in silber und rot: Thalion Gabellano. Beide gehörten zu den wenigen Streitern, die ohne Niederlage in die Finalrunde vorgedrungen waren, mit je fünf Siegen hatten sowohl Cavalliere Horasio, als auch Esquirio Thalion ihren bisherigen Gegnern das Fürchten gelehrt. In der Blutlese war man sich uneins, wer den Sieg davontragen würde: Der Cavalliere aus der Septimana war erfahrener, aber Signore Thalion hatte auf seinem Weg unter die letzten 32 nicht wenige erfahrene Lanzenreiter bezwungen, darunter den nordmärkischen Ritter Koromar von Liobas Zell. Allerdings hatte der Amarinto bei seinen bisherigen Duellen bewiesen, dass er auch mit ungestüm fechtenden Bravi wie Geron Accali oder Gianbaldo Carson umzugehen wusste.
Entsprechend stark war auch das Auftreten Signore Horasios bereits beim ersten Lanzengang: Mit angelegter, kaum schwankender Lanze preschte er auf seinem Wallach voran, Sand wirbelte in die Luft und die Krönig näherte sich unaufhaltsam der Brust seines Gegners. Ein vielstimmiges, erwartungsvolles „Oh“ schwoll an, als die Lanze ihr Ziel traf. Thalions rot umwickelte Lanze landete im Sand, ob verloren oder geworfen vermochte zunächst keiner zu sagen. Doch die stählerne Spitze des Amarinto traf nicht den Brustpanzer Thalions, sondern den Gabelschild, den dieser im letzten Augenblick zwischen Leib und Waffe seines Gegners hatte bringen können. Das Publikum johlte, denn ein Streiter, der seine Lanze verlor, büßte damit auch an Sprezzatura ein. Aber den wuchtigen Stoß Horasios hätte der Gabellano, wäre er zusätzlich vom Gewicht seiner Lanze beschränkt worden, vermutlich nicht aushalten können. Während Signore Amarinto am jenseitigen Ende der Bahn bereits ungeduldig wartete und sein Ross im Sand umhertänzelte, ließ sich Thalion Gabellano eine neue Lanze reichen.
Die nächsten beiden Anritte konnten allerdings keine Entscheidung herbeiführen. Zwar sank die Entschlossenheit des Amarinto nicht und er landete auch noch einen weiteren Treffer auf seinen Gegner, den dieser jedoch am dicken Armpanzer abgleiten ließ. Die Strategie des Gabellano war offensichtlich: Er konzentrierte sich auf einen festen Sitz im Sattel, hielt den Schild fest und hoffte auf einen glücklichen Treffer, sorgte aber vor allem dafür, nicht selbst aus dem Sattel zu fliegen.
Der Grund für diese verteidigende Kampfhaltung, die ihm nicht unbedingt die Liebe der Arivorer einbrachte, sollte sich im Fußkampf zeigen. Der Cavalliere war ein erfahrener Lanzengänger und er war der weitaus bessere Reiter, als sein Gegner. Aber im Kampf mit der Klinge konnte sich Thalion Gabellano mit ihm messen, das hatte er schon im Kampf gegen Aquintano Thirindar während der Hauptrunde bewiesen. Aber reichte seine Klingenfertigkeit auch für den Cavalliere des Stab-und-Schwert-Ordens?
So lange das Duell der beiden vom Pferderücken aus gedauert hatte, so schnell war ihr Aufeinandertreffen mit der Klinge beendet. Wie zuvor ging Horasio Amarinto zum Angriff über und attackierte seinen jüngeren Gegner mit vier raschen und wuchtig geführten Hieben gegen Kopf und Oberkörper. Dann geschah etwas, was den Popolo in Erstaunen versetzte: Mit einer Beweglichkeit, die das Gewicht seiner Rüstung vergessen machte, wich Thalion dem ersten Hieb aus, tauchte auch unter dem zweiten Schlag Horasios durch und parierte den dritten indem er die Klinge seines Gegners mit seinem Breitschwert beiseite schlug. Noch bevor der vierte Schlag Horasios Signore Thalion treffen konnte, verhakte sich der Stahl beider Klingen und mit einer raschen, wuchtigen Bewegung von Thalions Handgelenk war dem Cavalliere mit einem Mal die Waffe aus der Hand geprellt. Das alles, die Attacken des Amarinto, die Paraden des Gabellano und die Entwaffnung, hatte wenig mehr als einige Lidschläge gedauert – und doch war der Kampf schon entschieden.
Erst jetzt erschall, zunächst zögerlich, dann lauter werdend, der Jubel. Der junge Gabellano hatte erneut gesiegt, seine Strategie hatte sich als klug erwiesen.
Torreon de Torri fordert Oljana von Tomrath
Das nächste Duell sollte eines der schrecklichsten des bisherigen Turniers werden, doch nicht aufgrund der während des Duells gezeigten Kampffertigkeiten, sondern aufgrund des unglückseligen Ausgangs. Der schwarze Turm, Cavalliere Torreon de Torri, der schon manche Cavalliera aus dem Sattel gehoben hatte, so dass deren Schilde noch immer den Eingang zu seinem Turnierzelt schmückten, hatte sich erneut eine Ritterin zum Gegner erwählt – diesmal traf er auf die Ardaritin Oljana von Tomrath, nach dem Ausscheiden Bardica della Cordaios neben Luca di Onerdi und Batiste d’Imirandi eine der wenigen verbliebenen Favoritinnen der Rondrianer im Publikum und auf der Tribüne. Man traute der Signora von Tomrath auf ihrem braunen Ross Herantes durchaus zu, den ungeliebten Cavalliere des Grafen vom Sikram aus dem Sattel zu befördern.
Doch schon im ersten Anritt geschah es: Beide Reiter trafen in der Mitte der Geronsbahn aufeinander, die Lanzen gesenkt, die Schilde gewappnet. Noch eben wirbelte der Galopp der Ardaritin den Sand der Turnierbahn auf, da stürzten Ross und Reiterin zu Boden. Die Lanze Oljanas hatte zwar getroffen, war aber zerstoben auf Torreons Brust, seine Gegnerin lag dagegen am Boden. Torreon selber stand wie Mauerwerk, hob seinen mächtigen Helm vom spärlichen Haar und blickte ungerührt hinauf unter das Gebälk der Tribüne. Dort hatte er ein Schwalbennest entdeckt, das den Zuschauern während des Wartens auf den nächsten Kampf manche Kurzweil beschert hatte. Es galt sich einzugestehen: Kaum ein Streiter in Arivor oder andernorts ist bekannt, der so kalt und stark ist wie der Schwarze Turm.
Unterdessen eilte ein Knappe herbei, um der am Boden liegenden Ritterin Oljana aufzuhelfen. Doch ein Blick in sein Gesicht ließ lautes Rufen von den Rängen erklingen, das zu erschrockenem Geschrei anschwoll, als sich der Sand um den Leib der Gefallenen rot zu färben begann. Die bald schon auf die Turnierbahn eilenden Helfer, darunter auch ein schmerbäuchiger Medicus, kamen indes zu spät: Oberhalb der Brünne hatte ein gerissener Gurt die Rüstung nicht am Platz gehalten – und an eben jener Stelle war die Lanze des Cavalliere Torreon in den Leib der Unglücklichen gedrungen. Der Heiler mit dem gepuderten Haar musste denn auch, sehr zum Entsetzen von Turnierleitung und Zuschauern, vermelden, dass die Signora Oljana auf Golgaris Schwingen in das jenseitige Leben hinfortgetragen worden sei.
Reo di Valese fordert Nevinia ya Stellona
Es dauerte eine Weile, mehr als eine Stunde, bis Nepolemo ya Torese den Sand wieder freigab. Die beiden Kontrahenten, Reo di Valese und die Favoritin der Arivorer, Nevinia ya Stellona, nahmen beide an einer kurzen Andacht des Erzherrschers teil, genau wie alle anderen am Rande der Turnierbahn. Manch einer behauptete später, er habe Tränen auf den Wangen des gealterten Kämpen Reo gesehen, als der Erzherrscher in einprägsamen, aber knappen Worten, der unglücklich Gefallenen Oljana von Tomrath gedachte.
Doch auch nach der Andacht waren die Zuschauer kaum zu beruhigen, kein Wunder, hatte doch das Turnier in den letzten zehn Jahren keinen solchen tödlichen Unfall zu beklagen gehabt! Es war beiden Streitern entsprechend anzusehen, dass sie im Gedanken an die Ardaritin nicht mit ungestümen und gefährlichen Lanzenstößen zum Sieg kommen wollten und so dauerte es bis zum dritten Anritt, bevor ein Sieger gefunden war: Der Siegreiche, Reo di Valese, stieg sogleich von seinem Pferde und kniete sich an jene Stelle, wo der Sand noch vom Schicksal der Ritterin Oljana kündete. Mit einem stummen Gebet widmete er seinen Sieg der nun unzweifelhaft in Rondras Heerscharen aufgenommenen Reckin.
Luca di Onerdi fordert Folnor von Firdayon-Bethana
Von Seiten des Garnisonslagers ritt nun Luca di Onerdi, die einstige Siegerin der 1000 Meilen von Yaquiria, auf die Geronsbahn. Sie trug die Tracht der Löwenritterin und ritt ein milchweißes Schlachtross mit graubrauner Mähne. Der rote Umhang wehte hinter ihr her, die Lanze ruhte quer über ihrem Sattel. Auf der anderen Seite der Bahn, wo hinter den Zuschauermassen die Mauern Arivors zu sehen waren, trabte Folnor von Firdayon-Bethana, der Baron von Aldyra, auf einem schwarzen Hengst mit goldenem Zaumzeug und goldverzierter, schwarzer Schabracke auf den Sand.
Auf ein Zeichen der Turniermarschallin, die nach dem Unfall der unglücklichen Oljana wieder die Funktion der Turnierrichterin übernommen hatte, gaben beide Reiter ihren Tieren die Sporen. Die Tribüne und die Menge ringsumher stimmten lauten Jubel an, wobei der Löwenritterin etwas mehr Zustimmung zuteil wurde.
In der Mitte des Hofes trafen Ritterin und Baron mit lautem Krachen von Holz und Stahl aufeinander. Sowohl die goldene, als auch die silberne Lanze zerbrachen, und der Hengst Folnors stieg auf, aber es war das der goldenen Hengst Bergerios – der Schild Lucas – der durch die Luft segelte und im Publikum verschwand. Unter großem Wehgeschrei der Zuschauer landete die Wagenlenkerin im Sand, wo sie zunächst regungslos auf der Seite liegen blieb. Während sich noch alles fragte, ob ihr Knappe, der junge Torrem, sie im Stich lassen mochte, erwies ihr Gegner sich als ungefährlich. Der siegreiche Baron von Aldyra sprang selbst vom Pferd, um seiner Kontrahentin auf die Füße zu ziehen. Unter dem Jubel der Zuschauer ließ sich die Signora di Onerdi, nunmehr gestützt auf den endlich herbeigeeilten Knappen, von der Bahn helfen. Währenddessen reckte nun auch der Sieger das goldene Fallgatter in die Luft, um den Applaus des Popolo entgegenzunehmen. Zwar war gerade den Anhängern der Rondra-Kirche im Publikum ihre Enttäuschung anzusehen, aber einen waschechten Prinzen vom Geblüt wie Folnor von Firdayon-Bethana zuzujubeln war für die meisten Zuschauer nicht schwer.
⇒Fortsetzung mit den Forderungen 9 bis 16