Briefspiel:Kaiserjagd/Alte Wunden

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Kaiserjagd.png Städteübergreifendes Briefspiel Kaiserjagd.png
Datiert auf: 1.-6. Firun 1046 BF Schauplatz: von Aldyra in den Wald von Persenciello Entstehungszeitraum: ab März 2024
Protagonisten: Khadan II. Firdayon, etliche Hochadlige und weitere Noble des Reiches Autoren/Beteiligte: Haus Amarinto.png Amarinto, Familie Solivino.png Bella, Familie della Carenio.png Carenio, Familie ya Malachis.png Cassian, Horasreich-klein.png Dajin, Haus della Pena aeH.png Dellapena, Haus Sirensteen.png Erlan, Familie Flaviora.png Flaviora, Familie Gerber.png Gerberstädter, Haus Urbet.png Gonfaloniere, Haus della Pena jH.png Horasio, Familie van Kacheleen.png Kacheleen, Familie Luntfeld.png Luntfeld, Haus Legari.png Nebelzweig, Haus Carson.png OrsinoCarson, Familie di Cerrano.png Princeps, Haus di Salsavur.png Rondrastein, Haus Romeroza.png Savinya Romeroza, Haus Veliris.png Schatzkanzler, Familie Ventargento.png Silberwind, Haus Tribec.png Tribec, Wappen fehlt.png Vairningen, Haus ya Pirras.png VivionaYaPirras u.w.
Zyklus: Übersicht · Teilnehmer · Schauplätze · Regeln · Gerüchteküche · Erster Tag

Geschichten vor der Jagd: Firungefällige Fragen I · II · Eine bescheidene Bitte · Eine Antwort aus Horasia · Unter Wölfen · Das Haus Veliris · Prinz und Prinzessin · Ungewisses Parkett · Folnors Bankett · Die "Minnesängerin" · Kamingespräch zu Imdallyo · Der Kalif von Unau · Am Tag der Volkskunst I · II · Gräfin Tergelstirn · Eine Schuld wird beglichen I · II · III · IV · V · VI · VII · VIII · Eine magische Nacht I · II · III · IV · V · VI · VII · Bosparanische Träume I · II · III · IV · V
1. Firun: Sternenglanz im Sonnenschein · Duell im Morgengrauen · Wenn Träume verblassen I · II · III · IV · V · Ein Herz und eine Seele · Morgendlicher Ausritt · Mathesio und Verian · Kaiserliche Herausforderung · Knappin vermisst I · Jagdabsprachen I · II · III · Die Horas-Halle · Das Hussbeker Manöver · Unter Freunden und Feinden · Alte Wunden · Zur Jagd! · Bündnis auf Zeit · Kaiserlicher Auftritt · Knappin vermisst II · Die Albornsburgübergabe



Alte Wunden

1. Firun 1046 BF, kurz vor dem Mittag, Aldyra

Autoren: Amarinto, VivionaYaPirras

Auf der "Flucht": Dottora Orleane ya Pirras

Es war Orleane ya Pirras einfach zu viel. Auf der Flussbarke wurde sie dauernd in Gespräche verwickelt und nachdem sie in Aldyra angekommen waren, fingen die Bediensteten und Mitglieder des Hauses Amarinto an, sich auf die Jagd vorzubereiten. Sie musste einfach fort. Nur für eine kurze Weile. Einen klaren Gedanken fassen. Und so entschied sie sich, das Lager zu verlassen und durch Aldyra zu streifen. Aber auch dort wurde es ihr bald zu viel, waren doch auch die anderen Adelshäuser damit beschäftigt, die letzten Vorbereitungen zu treffen.
Sie ging durch die Gassen ohne Ziel und in Gedanken versunken, bis sie jemandem in den Weg lief und sie gegeneinander prallten. Ein Schmerz zog durch Orleanes Schulter, denn diese traf auf einen Brustpanzer. Ein Stöhnen entfuhr ihren Lippen.
“Verzeiht Signora, ich hätte besser auf den Weg achten müssen. Geht es Euch gut?”
Orleane hörte eine hektische männliche Stimme neben sich. Sie sah einen Kämpfer in Platte gerüstet. Er war noch jung, aber größer als sie. Hellbraune Haare umrahmten sein markantes Gesicht und blaugraue Augen blickten sie besorgt an. Irgendetwas kam ihr bekannt vor. Natürlich. Unter allen Menschen in Aldyra musste sie auf jemanden aus dem Haus Amarinto treffen. Tiro d'Amarinto, seines Zeichen Knappe des Cavalliere Heldor Galfard. Sie hatte ihn noch nicht oft gesehen, aber doch wiedererkannt.
“Es ist alles in Ordnung, Signor Tiro. Ich war unachtsam und in Gedanken. An mir ist es, mich zu entschuldigen.”
“Aber nicht doch Signora, ich …”, begann Tiro und dann weiteten sich seine Augen. “Woher kennt ihr meinen Namen? ... Ihr seid doch Signora ya Pirras. Welch Freude, wenn auch unter solchen Umständen. Was führt Euch hier ins Lager der Vinsalter. Schickt Euch Cavalliere Dareius?”
“Nein, ich wollte mir nur die Beine vertreten.”
“Und ich Holzkopf renne in Euch rein. Wie kann ich das wieder gutmachen?”
Orleane wollte beschwichtigend die Hände heben, aber Tiro ließ sie nicht zu Atem kommen.
“Lasst mich auch nach Eurer Schulter sehen. Aber nicht hier, sondern begleitet mich zu dem Zelt meines Schwertvaters. Auch er wird sich freuen Euch wiederzusehen. Außerdem ist es dort angenehm warm und auch ein warmes Getränk stünde bereit.”
“Ich möchte Euch aber keine Umstände machen. Auch ihr seid sicherlich in Vorbereitungen für die Jagd. Außerdem bin ich selber Dottora und ich sage Euch, dass alles in Ordnung ist.”
“Verzeiht, aber das lasse ich nicht gelten. Kommt, das Zelt der Galfards ist direkt dort hinten.”
Tiro deutete auf eine eingezäunten Zeltgruppe am Rand, an dessen Eingang man das Wappen der Galfards, das silberne Torhaus auf grünen Grund, sehen konnte.

Auch der ältere Cavalliere Heldor Galfard begrüßte Orleane aufs Herzlichste. Nachdem die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht wurden und es einen warmen Met zum Aufwärmen gab, zog dieser sich zurück. “Schließlich wollen wir nicht, dass die Grangorer von unseren Planen erfahren”, scherzte der Cavalliere.
“Ich möchte Euch auch nicht länger zur Last fallen, Cavalliere. Bestimmt werde ich auch schon zurück erwartet”, entgegnete Orleane und stand auf.
“Tiro, begleite die Signora zurück zu ihrem Dienstherrn und mache diesem Deine Aufwartung.”
Tiro stand ebenfalls auf.
“Wie ihr befiehlt, Herr.”
“Und lass dich nicht wieder von zwei Knappinnen abfüllen, Junge.”

Unverhoffte Begegnung: der Knappe Tiro d'Amarinto

Orleane hatte es aber gar nicht so eilig und Tiro war so redselig, dass sie ihn erzählen ließ. Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei den beiden Knappinnen um Skrayana und Methelessa handelte. Das Gespräch verebbte schnell, denn Orleane wurde wieder still. Doch dann blieb sie einfach stehen. Tiro ging noch einige Schritte weiter, bis ihm dies auffiel. Verwundert schaute dieser nach Orleane.
Diese stand dort wie angewurzelt. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und sie schaute sich um. Wieder stand sie an einem umzäunten Zeltplatz, ähnlich groß wie der der Galfards. Auch dort war ein Wappen zu sehen. Ein geteiltes Wappen mit zwei gelben Sonnen auf rotem Grund linkerhand und rechts ein rotes Schwert und ein roter Speer über Kreuz auf gelben Grund. Sie betrachtete es, starrte es regelrecht an. Ganz leise hörte sie eine Stimme, immer lauter werdend. Tiro sprach sie an und seine Miene wurde immer besorgter, je weniger sie reagierte.
“Dieses Wappen. Zu welchem Haus gehört es?", fragte Orleane ihren Begleiter.
“Es gehört dem Haus de Maltris, Signora. Ein kleines Landadelsgeschlecht aus der Ponterra.”
Sie erschrak. Das Haus de Maltris. Dies war doch der Name, den Baronessa Ollantur erwähnt hat. Und nun stand sie hier. War das Zufall oder Schicksal? Langsam schritt sie auf den Eingang des Lagers zu. Es war schon fast wie ein Zwang. Auf einmal öffnete sich der Eingang des größten Zeltes und eine offensichtliche Kriegerin trat heraus. Sie war größer als sie und auch älter. Gekleidet war sie in eine einfache, erdfarbene Lederrüstung. Ihre Haare waren hellbraun und kürzer geschnitten, aber am auffälligsten war ihre Gesichtsmimik. Kalt, ja fast schon abweisend, blickte sie Orleane mit ihren braunen Augen an. Irgendwie hatte die Dottora das Gefühl, jemanden gefunden zu haben, obwohl sie denjenigen nicht gesucht hatte.
Ursophyne de Maltris trat aus dem großen Zelt des Hauses de Maltris, als ihr Blick auf eine Frau fiel, die wie erstarrt vor dem Eingang stand.
Ihre Lederrüstung knarrte leise, als sie stehen blieb und die Fremde musterte. Die Frau war kleiner und jünger, in einen schlichten Mantel gehüllt, doch ihre Haltung verriet Anspannung. Ihre Augen – intelligent, aber voller Unruhe – starrten Ursophyne an, als suchten sie nach Antworten auf eine Frage, die sie selbst noch nicht kannte.
Ursophyne verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch.
„Kann ich Euch helfen?“
Ihre Stimme war kühl und ihre Mimik sowie die Narben auf ihrer rechten Wange und unter ihrem Auge unterstrichen den abweisenden Eindruck, den sie erweckte. Ein freundliches Flackern in ihrem Blick zeugte jedoch davon, dass sich unter der harten Schale der Kriegerin irgendwo ein deutlich weicherer Kern verbergen musste.
“Verzeiht Signora, und so komisch es sich anhört, ich weiß nicht, ob ihr mir helfen könnt. Es ist mir selbst nicht im Klaren, was mich hierher geführt hat”, antwortete Orleane unsicher.
Ursophyne runzelte die Stirn.
“Entschuldigt meine Unhöflichkeit. Ich sollte mich erst einmal vorstellen. Vielleicht bringt dies etwas Licht ins Dunkel. Orleane ya Pirras, Dottora aus Sewamund und in Diensten des Cavalliere Dareius Amarinto …” Orleane verbeugte sich kurz, bevor sie auf Tiro deutete. “... in Begleitung von Tiro d'Amarinto, dem Knappen des Cavalliere Heldor Galfard.”
Ursophyne hielt inne, ihre Arme noch immer vor der Brust verschränkt, doch die Härte in ihrem Blick wich einer Nuance von Neugier. Sie ließ ihren Blick prüfend über Orleane gleiten, als suchte sie nach einer Antwort auf eine Frage, die sie nicht laut aussprechen wollte. Schließlich hob sie das Kinn leicht an, ihre Stimme sanfter, aber dennoch mit einem Unterton von Kontrolle.
„Ihr seid also Dareius’ Dottora“, sagte sie langsam, als wollte sie die Worte abwägen. „Eine ungewöhnliche Wahl, findet ihr nicht auch?”
Ein leises Lächeln spielte um Ursophynes Lippen, ein Zwischending aus Belustigung und Nachdenklichkeit. Sie machte eine kurze Pause, ihre braunen Augen suchten Orleanes Gesicht, als wollte sie jede Regung, jeden verborgenen Gedanken darin lesen.
„Was hat Euch wirklich hierher geführt?“, fragte sie schließlich, ihre Stimme ruhiger, aber mit einem unausgesprochenen Drängen, die Wahrheit zu hören. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass Ihr Aldyra durchstreift, ohne Ziel oder Grund.“
“Ohne Ziel, aber dafür mit einem guten Grund. Dem Trubel im Lager der Amarintos zu entkommen”, antwortete Orleane. Dass sie momentan Dareius und Cariana Amarinto aus dem Weg gehen wollte, musste die Kämpferin ihr gegenüber nicht wissen. “Aber sagt, Signora, was ist so ungewöhnlich daran, dass meine Person in die Dienste des Cavalliere getreten ist? Findet ihr diese Behauptung nicht etwas anmaßend? Wer seid ihr, dass …”
Orleane spürte eine kurze Berührung auf ihrer Schulter und sie sah Tiro aus dem Augenwinkel.
“Verzeiht, aber dies ist Esquiria Ursophyne de Maltris.”
Kurz blieb er still, als ob er überlegen musste. Es war deutlich, dass er nun nichts falsches sagen wollte.
“Cavalliere Dareius und die Esquiria sind alte Bekannte ...“
Aber Orleane hörte gar nicht mehr zu. Ursophyne de Maltris. Dies war der Name, den ihr die Baronessa Ollantur ins Ohr geflüstert hatte. Was hatte das zu bedeuten? Mit großen Augen schaute sie die Kriegerin an.
“Erlaubt mir eine Frage, Esquiria, und verzeiht, wenn ich Euch nicht standesgemäß angesprochen habe, in welcher Beziehung steht ihr zu meinem Dienstherrn? Ihr scheint ihn zu kennen.”
Für einige Momente blieb das Gesicht der Kriegerin hart, wie in Stein gemeißelt. Ihre Augen zuckten wild zwischen Orleane und Tiro d’Amarinto hin und her.
Ihre Antwort war kühl wie ein kalter Herbstwind. “Ja, wir kennen uns. In der Turnierbahn ist es fast unmöglich, dem Cavalliere nicht zu begegnen.” Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter. “Entschuldigt, ich hatte nicht vor Euch zu beleidigen, Signora ya Pirras, es ist nichts ungewöhnliches dabei eine Medica anzustellen. Der Cavalliere Amarinto kam jedoch bislang immer ohne medizinische Hilfe aus. Vielleicht macht sich ja nur das Alter bemerkbar.”
Die letzte Bemerkung wurde von einem minimalen Anflug von Belustigung begleitet.
Warum hatte ihr die Baronessa den Namen der Kriegerin genannt? Wollte sie sie doch nur zum Narren halten, oder hatte es mit dem Lebenswandel des Cavaliere zu tun? War sie etwa …
“Verzeiht Esquiria, es kann nicht nur die Turnierleidenschaft sein, welche Ihr mit meinem Herrn teilt. Sagt es mir bitte. Es war mehr, als ihr mir preisgeben wollt.” Orleanes Kopf drehte sich. Ihr wurde schwindelig. “Hat er Euch auch umworben, so wie auch …“
Ursophyne spürte die Schwere der Worte und die unausgesprochene Spannung, die zwischen ihnen hing, wie ein Sturm, der sich langsam zusammenbraute. Sie musterte Orleane, für einen Moment länger, als es nötig gewesen wäre, bevor sie mit leiser, aber bestimmter Stimme sprach.
„Signora ya Pirras, das hier ist weder der Ort noch der Moment für solch ein Gespräch.“ Sie machte eine kurze Pause, ihre Augen ruhten auf Orleane, ihre Miene blieb beherrscht, doch eine fast unmerkliche Weichheit schlich sich in ihre Stimme. „Kommt mit mir. Wir können in meinem Zelt sprechen. Dort werden wir unter vier Augen bleiben.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, deutete Ursophyne mit einer leichten Kopfbewegung auf den Eingang des Zeltes hinter ihr. Ihr Tonfall war ruhig, fast einladend, doch es war klar, dass sie keine Widerrede erwartete.
Mit einem kurzen Blick zu Tiro fügte sie hinzu: „Signor d’Amarinto, ich danke Euch für Eure Begleitung der Dottora. Ihr dürft Euch zurückziehen.“
Tiro zögerte einen Moment, dann nickte er und verbeugte sich leicht.
„Wie Ihr wünscht, Esquiria.“
Sein Blick huschte noch einmal zu Orleane, als wolle er sicherstellen, dass sie sich in guten Händen befand, bevor er sich umdrehte und davonging.

Noch unverhofftere Begegnung: Esquiria Ursophyne de Maltris

Ursophyne wartete, bis er außer Hörweite war, dann schob sie den schweren Zelteingang beiseite und trat ein, ohne zurückzublicken.
„Kommt“, sagte sie über die Schulter, ihre Stimme leise, aber eindringlich.
Das Innere des Zeltes war schlicht, aber ordentlich. Eine Rüstung stand auf einem hölzernen Gestell, und ein kleiner Tisch mit Karten und Papieren darauf verriet, dass Ursophyne hier nicht nur schlief, sondern auch ihre Korrespondenz bearbeitete. Sie deutete auf einen einfachen Hocker gegenüber ihrem eigenen Stuhl und ließ sich selbst auf den Stuhl fallen. Für einen Moment herrschte Stille, die nur vom leisen Rascheln der Zeltwand unterbrochen wurde.
„Dareius und ich …“, begann sie schließlich, ihre Stimme leiser und langsamer. „Wir hatten einst eine Verbindung. Nichts, worüber die Balladensänger je singen würden, aber eine Verbindung, die stark genug war, um Spuren zu hinterlassen.“
Ihre braunen Augen suchten Orleanes Blick.
„Doch diese Verbindung hat nicht gehalten. Nicht, weil ich es nicht wollte, sondern weil er nicht wusste, was er wollte.“
Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme wieder vor der Brust, ein Schutzmechanismus gegen die Gefühle, die diese Worte heraufbeschworen.
„Ich weiß nicht, welche Rolle Ihr in seinem Leben spielt, Signora, und es steht mir nicht zu, Euch zu belehren. Aber seid vorsichtig. Dareius hat die Gabe, Menschen für sich zu gewinnen, doch nicht immer die Kraft, bei ihnen zu bleiben.“
Ein Moment der Stille folgte, bevor Ursophyne hinzufügte, leiser, aber eindringlich: „Wenn Ihr ihm nahesteht, dann überlegt Euch gut, wie viel von Euch Ihr ihm geben wollt. Denn er nimmt oft mehr, als er zurückzugeben bereit ist.“
Sie hielt inne, ließ die Worte wirken, bevor sie einen leichten Hauch von Weichheit in ihre Stimme brachte. „Das ist keine Warnung aus Bosheit, sondern aus Erfahrung. Wenn Ihr noch etwas wissen möchtet, fragt, aber ich werde nur das erzählen, was ich für richtig halte.“
Ihr Blick war fest, aber die Zwiespältigkeit in ihren Augen verriet, dass auch sie mit ihren eigenen Gefühlen kämpfte.
Orleane musste diese Worte erst einmal wirken lassen. Dies war also der Hintergedanke der Baronessa gewesen. Sie hatte sie zu einer ehemaligen Geliebten von Dareius getrieben. Und ja, sie sah Parallelen zwischen ihr und dieser Frau ihr gegenüber.
“Habt Dank für Eure Offenheit, Esquiria. Ich befürchte, ich habe ihm schon einiges gegeben. Wahrscheinlich wie auch ihr. Fragt mich nicht, warum ich Euch dies gestehe, aber unsere gemeinsame Liebschaft scheint uns zu verbinden.”
Unsicher begann Orleane ihre Finger ineinander zu verschränken.
“Sagt Esquiria, war es bei Euch genauso wie bei mir? Das, obwohl wir uns nahe stehen, er immer noch in der Gesellschaft anderer Damen war, ja diese regelrecht gesucht hat, um sie dann mit seinen Worten und Gedichten zu beeindrucken und vielleicht sogar mehr.”
Diese Worte weiter auszusprechen, fiel Orleane merklich schwer.
“Er sagt, es wäre Politik und er müsste wegen seiner neuen Stellung Verbündete suchen. Aber warum tragen diese dann immer Röcke oder Brustpanzer?”
Ursophyne lehnte sich leicht zurück, ihre Arme erneut verschränkt, und ließ Orleanes Worte einen Moment lang im Raum stehen. Ihre braunen Augen fixierten die Dottora, und für einen Augenblick war ein Wechselspiel aus Mitgefühl, Bitterkeit und einem Anflug von Verständnis in ihrem Blick zu erkennen. Schließlich atmete sie tief durch, ihre Stimme ruhiger, aber nicht weniger ernst.
„Ihr seid mutig, Signora. Es ist keine leichte Sache, so etwas auszusprechen, und noch weniger, es einzugestehen.“
Sie hielt inne, ihre Finger trommelten unbewusst gegen den Rand ihrer Lederrüstung.
„Ja, es war bei mir nicht anders. Dareius hat immer eine besondere Gabe gehabt, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – sei es durch seine Worte, seine Gesten oder diese verdammten Gedichte.“
Ein nostalgisches Lächeln umspielte kurz ihre Lippen, bevor es wieder verschwand.
„Er hat schon Recht, Politik mag ein Teil davon sein. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Dareius … er liebt das Gefühl, bewundert zu werden. Es gibt ihm etwas, das er sich selbst nicht geben kann. Und ja, die Röcke und Brustpanzer, wie Ihr sie nennt, scheinen ihm besonders wichtig zu sein. Ihre Bewunderung ist der Grund, warum er sich selbst zu Höchstleistungen auf der Turnierbahn und in der Poesie angestachelt hat, warum er nie aufgab, warum er sich selbst über jede Grenze hinaus zwingt. Er ist ein Getriebener.“
Ursophyne lehnte sich vor, ihre Stimme nahm einen ernsteren Ton an.
„Aber ich sage Euch das, Signora: Das liegt nicht an Euch. Es lag auch nicht an mir. Es liegt an ihm. Er sucht etwas, das er vielleicht nie finden wird, und in diesem Suchen verletzt er Menschen, die ihm nahestehen. Nicht aus Bosheit, sondern aus Schwäche.“
Sie hielt inne, um Orleane Zeit zu geben, die Worte aufzunehmen, bevor sie fortfuhr.
„Die Frage, die Ihr Euch stellen müsst, ist nicht, warum er so ist, sondern wie viel Ihr bereit seid, ihm zu verzeihen. Wie viel Ihr bereit seid, von Euch selbst zu opfern.“
Ihr Blick wurde weicher, fast sanft, als sie leiser hinzufügte: „Ich habe für mich entschieden, dass es genug war. Vielleicht werdet Ihr eines Tages dasselbe tun. Oder vielleicht findet Ihr einen Weg, mit seinem Wesen zu leben. Aber das ist allein Eure Entscheidung.“
Sie machte eine kurze Pause, ihre braunen Augen ruhten nachdenklich auf Orleane.
„Vielleicht ist es aber genau das, was er so verzweifelt sucht – eine Frau, die ihn nicht braucht. Eine, die ihr eigenes Leben führt, die ihn nicht als Zentrum ihrer Welt sieht. Das wäre das Einzige, was ihn wirklich herausfordern könnte.“
Sie verharrte kurz und sah Orleane dann umso eindringlicher in die Augen.
“Könnt Ihr Euren eigenen Weg gehen, unabhängig davon, ob er an Eurer Seite bleibt oder nicht? Denn wenn Ihr das könnt, dann habt Ihr etwas, was er selbst niemals haben wird: Freiheit. Die Freiheit, Euch selbst zu genügen.“
Sie hielt kurz inne, dann fügte sie leiser hinzu: „Das ist der einzige Rat, den ich Euch geben kann. Lasst Euch nicht von seiner Suche mitreißen, denn sie führt nirgendwohin. Baut Euch ein Leben, in dem er nur ein Teil ist, nicht der Mittelpunkt. Vielleicht ... vielleicht wird er dann erkennen, was er an Euch hat. Und wenn nicht, werdet Ihr trotzdem etwas haben, das weit kostbarer ist: Eure Unabhängigkeit.“
Ihre Worte klangen ehrlich, fast einladend, bevor sie mit einem Hauch von Pragmatismus hinzufügte: „Denn Männer wie Dareius … sie ändern sich nicht von selbst. Sie ändern sich nur, wenn man ihnen den Spiegel vorhält.”
“Ich danke Euch für Eure warnenden Worte, die ich gewiss beherzigen werde. Aber ihr müsst zugestehen, dass ihr auch schöne Zeiten mit ihm verbracht habt und diese Erinnerungen im Herzen sind wertvoller als all der Groll und Zorn danach.”
Orleane musste lächeln.
“Aber wer bin ich, die gerade genau den Weg beschreitet, den Ihr bereits hinter Euch habt. Ich kann nur von Euren Worten lernen und ja, vielleicht sollte ich ihm einen Spiegel vor Augen halten um zu sehen, ob er bereit ist um mich zu kämpfen.”
Kurz dachte sie an Berytos von Malur und verwarf diesen Gedanken wieder. Es wäre nicht fair, Berytos dafür auszunutzen. Sie kannten sich schließlich von früher und sie wollte dies nicht zunichte machen.
“Werte Esquiria, ihr habt mir in der kurzen Zeit vieles zum Nachdenken gegeben und hattet für mich ein offenes Ohr. Dafür danke ich Euch und hoffe, das wir uns zu einem anderen Zeitpunkt und unter besseren Umständen wieder begegnen werden. Bei einem Turney vielleicht.”
Orleane stand auf.
“Ich möchte Euch nicht länger behelligen. Auch Ihr werdet bestimmt noch Vorbereitungen für die Jagd treffen müssen und ich werde zurückerwartet. Soll ich dem Cavalliere etwas von Euch ausrichten?”
Ursophyne beobachtete Orleane mit einem Ausdruck, der irgendwo zwischen Resignation und einem Hauch von Anerkennung lag. Ihre Mundwinkel zuckten kurz, als wollte sie lächeln, doch sie hielt sich zurück und schüttelte leicht den Kopf.
„Ihr seid klug, Signora ya Pirras, und vielleicht auch ein wenig mutiger, als es gut für Euch ist.”
Sie stand auf, ihre Bewegungen ruhig und kontrolliert, und trat ein Stück näher an Orleane heran, ohne die Distanz zu überwinden.
„Was die schönen Zeiten betrifft – ja, die gab es. Und vielleicht sind sie es wert, im Herzen bewahrt zu werden, wie Ihr sagt.”
Einen Moment lang war Ursophyne still, dann fügte sie mit einem ungewohnt weichen Ton hinzu: „Solltet Ihr ihm tatsächlich wichtig sein, Signora, wird er kämpfen. Nicht um Euch zu besitzen, sondern um an Eurer Seite stehen zu dürfen. Gebt Euch niemals mit weniger zufrieden.”
Für einen Moment schien die Kriegerin zu zögern, als würde sie mit sich selbst ringen. Dann drehte sie sich wortlos um, ging zu einer schlichten Truhe aus dunklem Holz und öffnete sie. Sie zog etwas hervor, das im ersten Moment unscheinbar wirkte: ein gespaltenes Stück Holz, glatt geschliffen und sorgfältig mit einer winzigen Gravur versehen. Es war gerade groß genug, um in eine Hand zu passen. Ursophyne betrachtete das Stück einen Moment lang still, als ob es noch immer die Geschichten von damals in sich trug. Schließlich reichte sie es Orleane, ihre Finger blieben einen Moment länger daran, bevor sie losließ.
„Bringt das Dareius“, sagte sie leise, ihre Stimme war fest, doch es lag ein kaum zu verbergender Anflug von Wehmut darin. „Er wird wissen, was es ist.“
Orleane nahm das Stück verwundert in die Hand und betrachtete es genauer. Die feine Gravur zeigte das Wappen des Hauses de Maltris.
Ursophyne beantwortete die unausgesprochene Frage mit einem nostalgischen Lächeln: “Es ist ein Teil der Turnierlanze, die ich brach, als ich Dareius besiegte – beim Turnier in Bethana. Damals waren wir jung, voller Stolz und Feuer. Er war der Favorit, alle Augen ruhten auf ihm. Ich war nur die Außenseiterin.“
Sie hielt inne und fuhr mit ihrer rauen Fingerspitze kurz über die Splitterstelle, als könne sie den Moment noch spüren.
„Als ich ihn vom Pferd stieß, brach die Lanze genau an diesem Punkt. Es war mein Sieg, aber auch etwas anderes: Es war das erste Mal, dass Dareius sich verletzlich zeigte. Und das erste Mal, dass er mir Respekt zollte.“ Sie sah Orleane direkt in die Augen, und ihre Stimme wurde leiser, fast sanft. „Später ließ er dieses Stück Holz von einem Handwerker glätten und gravieren. Er sagte, es sei ein Andenken – an eine Lektion, die er nie vergessen wollte. Er schenkte es mir einige Götterläufe später als Glücksbringer vor dem Königsturnier in Arivor."
Sie trat einen Schritt zurück, die Arme vor der Brust verschränkt, während sie Orleane musterte.
„Bringt es ihm. Vielleicht erinnert er sich daran, was es bedeutet, etwas zu verlieren – und daran, dass manche Niederlagen wertvoller sind als Siege. Vielleicht versteht er diesmal, was er wirklich sucht.“
Sie trat einen Schritt vor, zögerte kurz, dann umarmte sie Orleane. Sie spürte die Narbe Ursophynes auf ihrer eigenen Wange.
“Mögen die Zwölfe über Euch wachen, Signora”, sagte diese leise, bevor sie Orleane aus der Umarmung entließ.
Überrascht von dieser Geste blieb Orleane stehen.
“Ich werde ihm dieses Andenken in Eurem Namen überreichen, Esquiria. Möge der Herr Firun Euch einen Erfolg bei der Jagd bescheren und er mit seinen göttlichen Geschwistern Euch allzeit gewogen sein. Auf ein baldiges Wiedersehen.”
Mit diesen Worten verabschiedete Sie sich von der Kriegerin und begab sich langsam zurück zu dem Lager der Amarintos.

Cavalliere Dareius – ein ziellos Getriebener?

Dort angekommen war alles in Aufbruchsstimmung. Die Messe zu Ehren Firuns stand kurz bevor. Ja, sie war zu spät, aber es war ihr egal. Die meisten Mitglieder der Jagdgesellschaft der Grangorer hatten bereits auf ihren Pferden Platz genommen und sich in Bewegung gesetzt. Sie sah auch einige vorwurfsvolle Blicke in ihre Richtung, welche sie gekonnt ignorierte. Als sie auf ihrem Pferd Platz genommen hatte und zur Gruppe der Amarintos aufschloss, hörte sie ein Jagdhorn. Dies war wohl das Zeichen für den baldigen Beginn der Jagd. Unbekümmert ritt sie auf Dareius zu. Ein kurzes Nicken zu seinem Leibwachter Arion, der ihr Platz machte, so dass sie an seine Seite reiten konnte. Seine Haltung auf dem Pferd zeugte von Stolz und Ritterlichkeit, aber in seinen Augen sah sie sein Unwohlsein. Orleane sagte kein Wort und ritt ruhig neben ihm her.
Dareius bemerkte Orleanes Annäherung, ohne den Blick von der fernen Linie der Wälder zu nehmen. Ihre stille Präsenz neben ihm war beruhigend und doch schwer von unausgesprochenen Worten. Das Pferd unter ihm bewegte sich ruhig, als wäre es von derselben Schwere erfasst wie sein Reiter. Schließlich, nach einem langen Moment des Schweigens, sagte er ernst, fast melancholisch, ohne den Kopf zu ihr zu drehen.
„Du bist also zurück, Orleane“, begann er leise, aber mit einer Stimme, die durchdrungen war von einer tiefen Nachdenklichkeit.
Dann begann er ein Gedicht zu rezitieren:

„Verloren im Treiben der geschäftigen Gassen,
Entflohen den Worten, die nur Schatten zulassen.
Die Jagd, sie beginnt, doch nicht die Beute ruft,
Es ist das Menschenkind, das sich selbst wieder sucht.“

Wie gerne würde Orleane jetzt seine Hand nehmen um ihm Trost und Halt zu geben. Aber sie musste sich zwingen, dies nicht zu tun. Nicht in der Öffentlichkeit und auch sonst nicht. Zu frisch war der Schmerz. Immer wieder erschien Baronessa Ollantur mit diesem wissenden Lächeln in ihrem Kopf und versetzte ihr neue Stiche. Aber war sie denn besser? Hatte sie ihn nicht auch …? Mit seiner Schwester? Aber wieso spürte sie kein Bedauern, sondern sehnte sich gar etwas nach den Berührungen der Kriegerin? Berührungen, die sie so sehr vermisst hatte. Von ihm.
“Sehr traurige, aber auch treffende Worte, Cavalliere”, sprach Orleane und ihre Stimme klang betrübt und zitterte leicht. “Aber ihr weicht auch mir aus. Nur schöne Worte reichen dieses Mal nicht. Es ist gestern einiges geschehen, was der Aussprache bedarf.”
Dareius nickte langsam. “Ja, du hast Recht.”
Ihre Gedanken, schweiften ab. Auf einmal dachte Orleane an Cariana, welche normalerweise an der Seite ihres Bruders ritt. Aber diesmal nicht. War dies etwa auch Ihre Schuld? Sie spürte einen leichten Druck unter ihrem Mantel.
“Ich habe da etwas für Euch. Von jemanden, dem ihr auch viel bedeutet und dennoch verloren habt.”
Sie griff unter ihre Jacke und holte das Stück der Turnierlanze hervor.
“Ein Andenken an eine Lektion, die ihr nie vergessen wolltet.”
Sie reichte ihm das bearbeitete Stück Holz, mit dem Wappen des Hauses de Maltris in seinem Blickfeld.
“Darf ich mir erdreisten, Euch zu fragen welche Lektion dies war?”
Dareius nahm das glatte Stück Holz aus Orleanes Hand, sein Blick darauf voller gemischter Emotionen. Für einen Moment schien die Welt um ihn herum zu verblassen, die Geräusche des Jagdlagers wurden gedämpft, und die klare, kalte Luft schien ihn nicht mehr zu berühren. Er hielt das Relikt einer anderen Zeit in seinen Händen wie einen vergessenen Teil seiner selbst.
Seine Finger fuhren sanft über die Gravur des Hauses de Maltris, und in seinen blaugrauen Augen flackerte ein Ausdruck von Nostalgie und Trauer auf. Schließlich sprach er mit leiser Stimme.
„Das war beim Turnier in Bethana“, begann er, ohne den Blick von dem Holzstück zu lösen. „Ich war jung, voller Ehrgeiz, und so überzeugt, dass niemand mich besiegen könnte. Ursophyne de Maltris war eine Außenseiterin, ein Name, den man kaum kannte, ein Gesicht, das in den Turnieren noch keinen Ruhm erlangt hatte.“
Seine Worte klangen wie das Vorlesen einer alten Chronik, distanziert und doch durchdrungen von großer Bedeutung.
„Sie brachte mich zu Fall – nicht nur auf der Turnierbahn, sondern in meinem Stolz. Es war nicht nur die Niederlage. Es war der Moment, in dem ich erkannte, dass wahre Stärke in der Fähigkeit liegt, eine Lektion zu akzeptieren und daraus zu lernen. Es war der Moment als ich mich in sie verliebte.“
Er hielt inne, das Stück Holz in seinen Händen wie ein zerbrechliches Erbstück betrachtend.
„Diese Lanze … als sie brach, brach auch ein Teil meines Stolzes. Doch aus den Splittern entstand etwas Neues, etwas Besseres. Ich ließ sie gravieren, um mich immer daran zu erinnern, dass Stolz eine Last sein kann, die den Blick für das Wesentliche trübt. Und dass man von denjenigen, die einen besiegen, mehr lernen kann als von denjenigen, die einen bewundern.“
Sein Blick hob sich schließlich von dem Holz und fand Orleanes Augen.
„Dass Ursophyne es dir gegeben hat, bedeutet, dass sie mir wieder eine Lektion erteilen will.“ Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Eine Ehre, die ich kaum verdient habe. Aber ich werde versuchen mich ihr als würdig zu erweisen.“
“Ich glaube nicht, dass es darum geht sich irgendetwas würdig zu erweisen. Meine Vermutung liegt eher darin, nicht noch einmal den gleichen Fehler zu begehen. Ihr habt Sie geliebt. Aufrichtig. Genauso wie Sie Euch. Und doch fehlte der Mut, den nächsten Schritt gemeinsam zu gehen. Im Gegenteil. Es wurde totgeschwiegen, bis zur Aufgabe.”
Und in Orleane keimte die Angst auf, dass es wieder passieren würde. Aber sie traute sich nicht es laut auszusprechen. Und wer weiß, vielleicht macht sie sich auch was vor. Er hat ihr seine Liebe noch nicht gestanden und würde es wahrscheinlich auch nie. Die Liste an Verehrerinnen war lang und sie war nur seine Dottora.
Dareius nickte.
“Ja, vielleicht hast du … vielleicht habt ihr beide Recht. Ich muss darüber nachdenken. Leider ist die Kaiserjagd nicht der richtige Ort dafür.”
Er blickte zu den unzähligen anderen Adligen, die sich auf den Feldern vor der Stadt zur Jagd versammelt hatten.

Überbringerin schlechter Kunde: Cariana Amarinto

Dareius hob den Kopf, als das Donnern von Hufen die Gruppe erreichte. Seine Hand glitt instinktiv an die Zügel, und er wandte sich der Quelle des Lärms zu. Im Galopp näherte sich eine Reiterin, ihre dunklen Locken flatterten im Wind, und ihre Haltung verriet die Dringlichkeit ihrer Botschaft. Es war Cariana, seine Schwester, und schon bevor sie hielt, wusste Dareius, dass sie keine guten Neuigkeiten brachte.
Cariana zügelte ihr Pferd mit einem Ruck und sprach: „Dareius!“ Ihre Stimme war scharf und klar, durchdrungen von einer Mischung aus Erschöpfung und Besorgnis. Josmina … unsere Großcousine … sie hat sich heute Morgen ein Duell mit einem Garon Rodereich geliefert.“
Sie hielt inne, atmete schwer und fuhr fort.
„Sie hat verloren.“
Dareius’ Gesicht zeigte eine flüchtige Regung von Entsetzen, während er die Worte seiner Schwester in sich aufnahm.
„Ist sie …?“ Er musste den Satz nicht weiter aussprechen.
Cariana ließ die Zügel ihres Pferdes sinken, ihre Hände zitterten leicht, aber sie schüttelte den Kopf. „Sie wurde schwer verwundet. Sie hätte nicht überlebt, wenn sie nicht von einem unbekannten Magier stabilisiert worden wäre. Sie liegt jetzt im Hospital von Aldyra.“
Während Cariana sprach, fiel Dareius’ Blick auf Arion, Josminas Bruder und seinen Leibwächter, der dicht neben ihm ritt. Arion saß wie eine Marmorstatue im Sattel, seine Miene ungerührt, die blaugrauen Augen leer, als hätten die Worte ihn nicht erreicht.
Dareius nickte langsam, dann richtete er sich auf und wandte sich an Orleane, die mit ihrem Pferd immer noch neben ihm stand.
„Orleane“, begann er, seine Stimme leise, aber bestimmt, „… reite zu ihr, sieh nach, was du tun kannst, wenn die Firunandacht und die Ansprache des Horas vorüber sind. Cariana wird dich begleiten und später folgt ihr den Jagdgesellschaften bis ihr uns einholt.“
Seine Schwester blickte zu Orleane, sie sah immer noch etwas blass im Gesicht aus, aber ihr Blick war entschlossen. Sie nickte militärisch. „Natürlich.“
“Selbstverständlich, Cavalliere”, stimmte Orleane kurz und bündig zu. “Aber glaubt Ihr nicht es wäre besser, wenn wir sofort aufbrechen würden.” Sie schaute Cariana an. “Ist ihr Zustand stabil genug, um noch so lange zu warten?” Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit.
Cariana Amarinto schüttelte langsam den Kopf.
“Der Magier hat gute Arbeit geleistet. Körperlich ist sie stabil. Josmina …” Sie zögerte kurz und atmete tief ein und kaum sichtbar begann ihr Kinn zu zittern bevor sich sich wieder sammeln konnte.
“Ihre schwersten Wunden sind seelischer Natur”, sagte sie schließlich, während sie den Blick von den beiden abwandte.
Dareius Hand war langsam und unbewusst auf den Knauf seines Schwertes gewandert. Er blickte sorgenvoll zu seiner Schwester, aber wandte sich doch an Orleane.
“Finde heraus, warum sie diesen Garon Rodereich gefordert hat, dazu noch zu einem Duell aufs dritte Blut. Ich muss wissen, warum sie bereit war, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.”
Er blickte auf seine Hand, die wie selbstverständlich auf dem Schwertknauf ruhte.
“Vielleicht muss ich ihrem Kontrahenten selbst bald gegenübertreten.”
Orleane nickte.
“Ich werde es versuchen, kann Euch aber nichts versprechen, Cavalliere. Ein einschneidendes Erlebnis negativer Natur musste zwischen beiden vorgefallen sein, denn sonst hätte Esquiria Josmina keine Forderung bis zum Tod ausgesprochen. Mir diesen Grund mitzuteilen setzt ein hohes Maß an Vertrauen voraus und dies kann einiges an Zeit in Anspruch nehmen.”
In einiger Entfernung hörten sie plötzlich einen weiteren Hornstoss. Die Firunandacht in Anwesenheit des Horas würde schon sehr bald beginnen.
“Wir sollten nicht länger warten.”
Er gab seiner Stute ein subtiles Zeichen mit dem Oberschenkel und das Schlachtross setzte sich in Bewegung und der Rest seiner Jagdgruppe folgte ihm ohne zu zögern.